Als Wirtschaftswurm lebe ich ja in einer Welt der Zahlen: die Arbeitslosenzahlen vom Oktober, die Außenhandelszahlen des dritten Quartals, Daten über die Industrieproduktion oder die Staatsschulden, dazu jeden Tag neue Wechselkurse. Und schließlich die Zahl der Zahlen, das Bruttoinlandsprodukt (kurz BIP) oder frei nach Tolkien im „Herr der Ringe“:
Die Zahl sie zu knechten,
sie alle zu finden,
ins Dunkel zu treiben
und ewig zu binden.
Die Wirtschaftsmedien quillen über vor Zahlen. Veröffentlicht werden Monats- und Quartalszahlen, manchmal auch Jahresdaten. Doch bei langfristigen Daten herrscht Fehlanzeige. Auch im Internet ist es schwer, langfristige Zahlen selbst über das Bruttoinlandsprodukt zu finden. Wer langfristig denken will, muss sie darum selbst ausrechnen. Und das habe ich gemacht.
Achtung! Dieser Artikel ist veraltet. Es gibt einen aktualisierten und erweiterten Artikel: Wirtschaftswachstum und Lebensstandard langfristig gesehen (2004-14)
Ich habe für die 25 Staaten mit der größten Wirtschaft (dem größten BIP in US-$ 2009) das Bruttoinlandsprodukt des vergangenen Jahres, also 2009, mit dem von 1999 verglichen. Grundlage waren die Daten des IWF. Ausgerechnet habe ich die 10-Jahres-Wachstumsrate 1999-2009 und herausgekommen ist folgende Tabelle:
Staat | Einheit der nationalen Währung | BIP 1999 zu konstanten Preisen in nationaler Währung | BIP 2009 zu konstanten Preisen in nationaler Währung | Wachstum über 10 Jahre 1999-2009 | durchschnitt-liches Wachstum pro Jahr |
Australien | Millionen | 891.864 | 1.206.032 | 35,2% | 3,06% |
Belgien | Millionen | 288.191 | 335.169 | 16,3% | 1,52% |
Brasilien | Millionen | 981.755 | 1.359.708 | 38,5% | 3,31% |
China | Millionen | 4.811.315 | 12.789.124 | 165,8% | 10,27% |
Deutschland | Millionen | 1.998.459 | 2.169.389 | 8,6% | 0,82% |
Frankreich | Millionen | 1.386.350 | 1.598.737 | 15,3% | 1,44% |
Großbritannien | Millionen | 1.099.327 | 1.296.390 | 17,9% | 1,66% |
Indien | Millionen | 24.105.914 | 46.721.144 | 93,8% | 6,84% |
Indonesien | Milliarden | 1.319.190 | 2.176.975 | 65,0% | 5,14% |
Italien | Millionen | 1.148.636 | 1.207.875 | 5,2% | 0,50% |
Japan | Millionen | 489.130 | 525.015 | 7,3% | 0,71% |
Kanada | Millionen | 1.045.786 | 1.285.604 | 22,9% | 2,09% |
Mexiko | Millionen | 6.924.178 | 8.345.649 | 20,5% | 1,88% |
Niederlande | Millionen | 402.113 | 469.416 | 16,7% | 1,56% |
Norwegen | Millionen | 1.876.366 | 2.255.855 | 20,2% | 1,86% |
Österreich | Millionen | 217.168 | 257.065 | 18,4% | 1,70% |
Polen | Millionen | 714.011 | 1.049.820 | 47,0% | 3,93% |
Russland | Millionen | 22.643.144 | 38.155.741 | 68,5% | 5,36% |
Schweden | Millionen | 2.559.690 | 3.108.002 | 21,4% | 1,96% |
Schweiz | Millionen | 407.467 | 483.508 | 18,7% | 1,73% |
Spanien | Millionen | 520.582 | 671.847 | 29,1% | 2,58% |
Südkorea | Millionen | 638.458 | 980.413 | 53,6% | 4,38% |
Taiwan | Millionen | 9.198.098 | 12.821.384 | 39,4% | 3,38% |
Türkei | Millionen | 67.841 | 97.144 | 43,2% | 3,66% |
USA | Millionen | 10.779.850 | 12.880.600 | 19,5% | 1,80% |
Dazu noch folgendes Diagramm:
Die erstaunliche wirtschaftliche Entwicklung Chinas tritt im 10-Jahres-Vergleich deutlich hervor. Chinas Wirtschaft ist um 166 % gewachsen, durchschnittlich 10,3 % im Jahr, und liegt damit klar vor der Nummer 2, Indien, dessen BIP um 93,8 % wuchs. Indien wiederum hat ein bedeutend stärkeres Wachstum als die Nummer 3, Russland, das 68,5 % erreichte. Unter den fünf Spitzenreitern liegen vier in Süd- oder Ostasien.
Der EU-Staat mit der besten wirtschaftlichen Entwicklung war Polen mit einem Plus von 47,0 %, der beste Euro-Staat war Spanien, dessen BIP immerhin um 29,1 % wuchs. Die letzten neun Plätze unter den großen 25 belegen acht europäische Staaten und Japan.
Deutschland erreicht gerade mal den drittletzten Platz mit einem Plus von 8,6 %, abgeschlagen hinter Frankreich mit 15,3 %. Auch ein hervorragendes Wachstum 2010 wird das nicht ändern. Es lässt sich nicht erkennen, dass Deutschland (wie vielfach behauptet) vom Euro besonders profitiert hat. Auch scheint zweifelhaft, dass Deutschlands Wachstumsmodell, das auf die Exportindustrien setzt, gut funktioniert.
Geh nicht ohne Gruß, empfiehl bitte den Beitrag weiter!
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Generelle Zustimmung, vor allem zur Wichtigkeit der langfristigen Betrachtung. Einige Anmerkungen möchte ich hierzu aber machen:
– Wachstum des BIP pro Kopf ist eigentlich der wichtigste und ausschlaggebendste Wert (nicht das absolute BIP-Wachstum): Das z.B. die USA mit einem starkem Bevölkerungswachstum schon ein deutlich stärkeres Wachstum als Europa erzielen muss, um überhaupt den gleichen BIP pro Kopf-Wert zu halten, fällt (zu) oft unter den Tisch. Besonders krass ist dieser Punkt bei Japan: Absolutes Wachstum in dieser Periode deutlich weniger als die USA und die Eurozone, Wachstum des BIP pro Kopf führt Japan vor beiden anderen Wirtschaftsräume an! Wer war da wohl erfolgreicher? Ist auch wichtig für Deutschland, da es eines der Länder mit sehr „schwacher“ Bevölkerungsdynamik ist (damit mein ich wenig Wachstum oder sogar anstehende Schrumpfung),
– Beobachtungszeitraum: Deutschland hatte von Mitte der 90er bis Mitte der 2000er Jahre eine schwierige wirtschaftliche Umstrukturierung zu bewältigen. Wenn wir uns ganz ehrlich sind (zumindest meiner Meinung nach), waren deutsche Wirtschaft, Konsumenten und Staat in dieser Zeit noch sehr massiv damit beschäftigt die Wiedervereinigung so richtig zu „verdauen“. Kein makroökonomischer Clou hätte das wesentlich erleichtern können (außer vielleicht gleich nach der Wende eine vernünftigerer Wechselkurs für osteuropäische Löhne). Sollte Deutschland diese gewaltige Aufgabe jetzt wirklichen gut 15 Jahren bewältigt haben, wäre dies meines Erachtens höchst eindrucksvoll!
– Darum Beobachtungszeitraum 2: Ich bin mir ziemlich sicher, dass Deutschland beispielsweise in der Periode 2007-2016 deutlich besseres Wachstum hinkriegen wird als so ziemlich jeder andere europäische Staat, von Frankreich über Spanien, England, Irland bis zu Italien. Absolut und noch deutlicher pro Kopf. Das ist einerseits natürlich der tollen innovativen deutschen Wirtschaft und den deutschen Arbeitnehmern zu verdanken – aber auch der Euro kann der deutschen Industrie international durchaus hilfreich sein.
Also Betrachtung langfristig ist toll und wichtig!
Der Schluss inwieweit ein Staat vvom Euro profitiert hat, kann man aber meiner Meinung nach daraus nur schwer ziehen (allein schon deshalb, weil ein Vergleichsszenario mit nationalen Währungen sowohl schlechter als auch besser hätte ausfallen können – durch Ländervergleiche lässt sich das schwer belegen).
Danke für den Eintrag!
Mit freundlichen Grüßen
Valoriann
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Die wirtschaftliche Entwicklung ist maßgeblich für das Wohlbefinden der gesamten Menschheit. In wirtschaftlich starken Zeiten wird es der Bevölkerung wesentlich besser gehen als in Zeiten einer Depression. Es gibt unzählige Faktoren, welche auf die Wirtschaft Einfluss haben – Leitzinsen, Inflation, Deflation, Bevölkerungsentwicklung, technischer Fortschritt … Mit der Kenntnis über die wirtschaftliche Entwicklung lässt sich auf Profit machen (Börsen). Durch eine ganze Anzahl von wirtschaftlichen Indikatoren kann man die wirtschaftliche Entwicklung frühzeitig erkennen. Jeder ist von der Wirtschaft betroffen, umso wichtiger ist es frühzeitig über die wirtschaftliche Situation Bescheid zu wissen. Ein wirtschaftliches Grundverständnis soll von jedermann mitgebracht werden. Die Leitzinsen, Inflationserwartungen, Bankenprobleme oder das Wirtschaftswachstum betreffen im Endeffekt alle!
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