Analyse

Fragwürdige Studie: 77 Milliarden Euro Kosten durch Grenzkontrollen?

GrenzzaunTijuana

Die Presse berichtete diese Woche über eine von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebene Studie. Danach würden Grenzkontrollen an den Schengen-Grenzen allein Deutschland 77 Milliarden Euro kosten. Eine nähere Betrachtung der Studie zeigt jedoch, dass die Summe 1. reine Spekulation ist, 2. gar nicht die Kosten betrifft und 3. leicht auszugleichen wäre.

Aber der Reihe nach: Die Bertelsmann-Studie erwähnt zwei Kostenblöcke, die für die Betriebe durch längere Wartezeiten an den Grenzen steigen:

  • Personalkosten und
  • Kosten für höhere Lagerbestände, mit denen ausgeglichen wird, dass die Güter länger für den Transport brauchen.

Die Studie führt aber nun keine eigene Messung oder Schätzung der Kostensteigerungen durch, sondern beruft sich auf ältere Studien, die einen Kostenaufschlag zwischen 1,4% und 3% des über die Grenzen transportierten Warenwerts ermittelt haben. Diese Studien berücksichtigen allerdings nicht nur Personenkontrollen, sondern auch Zollkontrollen der Waren. Gegenwärtig stehen Zollkontrollen aber überhaupt nicht zur Diskussion, da es nur um Maßnahmen gegen illegale Zuwanderung geht.

So beruhen die 77 Milliarden Euro in den Schlagzeilen auf angeblich konservative Annahmen, die von nur 1% Aufschlag auf den Warenwert ausgehen. Näher begründet werden die 1 Prozent allerdings an keiner Stelle.

Außen vor bleibt die Möglichkeit, dass die Logistikunternehmen die neuen Belastungen durch Effiziienzsteigerungen kompensieren. Außen vor bleibt auch die Möglichkeit, dass nicht alle Lkws kontrolliert werden. Wenn man beispielsweise nur jedes zweite Fahrzeug kontrolliert, erwischt man rein statistisch gesehen trotzdem mehr als 99% der Schlepper nach spätestens ihrer siebten Fahrt über die Grenze.

Bei den 77 Milliarden Euro aus den Schlagzeilen geht es aber gar nicht um die Kosten. Der Begriff Kosten, den die Bertelsmann-Studie selbst verwendet, ist grundfalsch.

Berechnet wurde die Wirkung von Grenzkontrollen auf das BIP

Und die Referenzgröße der Studie ist das kumuliert BIP über einen Zeitraum von 10 Jahren, nämlich von 2016-2025. Im Jahr 2015 betrug das deutsche BIP übrigens 3.025 Milliarden Euro. Allein dies über 10 Jahre kumuliert macht schon 30.250 Milliarden Euro. Und wenn dieses kumulierte BIP nun tatsächlich 77 Milliarden niedriger ausfällt, sind das 0,25%.

Da wird die Sache mehr als fragwürdig. Die bestehenden Wirtschaftsmodelle sind viel zu grob, um einen negativen Nettoeffekt von nur 0,25% für einen Zehnjahreszeitraum einigermaßen zuverlässig feststellen zu können. Machen wir uns klar: Wenn die Importe wegen der Grenzkontrollen mehr kosten, dann müssen natürlich die Leute an der ein oder anderen Stelle sparen. Die Nachfrage sinkt und dann auch das BIP. Auf der anderen Seite entstehen aber neue Stellen bei der Bundespolizei. Der Nettoeffekt ist theoretisch erst einmal unbestimmt.

Was soll überhaupt die Fixierung auf das BIP? Mir scheint, es geht in der Bertelsmann-Studie hauptsächlich darum, bereits existierende Wirtschaftsmodelle, in die viel Hirnschmalz gesteckt wurde, auch mal anzuwenden.

Bleiben wir lieber bei dem Näherliegenden:

Die tatsächlichen Kosten von Grenzkontrollen für Unternehmen

Deutschland importierte 2015 Waren im Wert von rund 1.330 Milliarden Euro aus dem Schengenraum. Seien wir wie die Bertelsmann-Stiftung großzügig und gehen von einem Kostenaufschlag von 1% durch Personenkontrollen aus. Das macht dann 13,3 Milliarden Euro jährlich. Wie oben geschrieben, ist es wahrscheinlich weniger.

Was ist das eigentlich, wenn man bedenkt, dass allein der Mindestlohn 10 Milliarden Euro Bürokratiekosten bei Unternehmen verursacht? Was ist das eigentlich, wenn trotz eines Bürokratieentlastungsgesetzes allein seit Mitte 2011 netto 10,5 Milliarden jährliche Bürokratiekosten für die Unternehmen hinzugekommen sind? Die Zahlen sind nachzulesen im Jahresbericht des nationalen Normenkontrollrates.

Aber auch der Normenkontrollrat evaluiert nur neue Regelungen. Einen wirklichen Überblick über die gesamten Bürokratiekosten in Deutschland scheint niemand zu haben. Ich habe im Netz nur eine veralte Meldung aus dem Jahr 2007 gefunden, nachdem die Bürokratie des Bundes mit 35-40 Milliarden Euro zu Buche schlägt. Dazu muss man aber wissen, dass der größte Teil der Verwaltung, insbesondere die Steuerverwaltung, Ländersache ist, die Bundesbürokratie also nur die Spitze des Eisberges bildet.

Kurz und gut, es wäre überhaupt kein Problem, durch Bürokratieabbau die Kosten, die der Wirtschaft durch Personenkontrollen an den Grenzen entstünden, mehr als auszugleichen. Ganz abgesehen davon, dass auch diese Kosten geringer sind als die Kosten für die Versorgung und Integration der neuen Zuwanderer.

Geh nicht ohne Gruß, empfiehl bitte den Beitrag weiter!

Foto von Tabea Huth/Wikimedia Commons: Grenzzaun USA/Mexiko bei Tijuana


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9 Kommentare

  1. Sodomsky sagt

    Es wird immer nur über die kosten für die Wirtschaft geredet, aber über die Kosten die die offenen Grenzen für den Bürger dieses Landes verursachen wird nicht thematisiert. Z.B. Unsicherheit auf den Straßen und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Diebstahle auf offener Straße. Tägliche Hauseinbrüche mit Tötung oder Volter wonach sich die geschädigten in lebenslanger Therapie befinden. Kosten die für einbruchssichere Türen und Fenster erbracht werden müssen. Fast Täglich wir über die Sprengung von Geldautomaten berichtet, wonach die Täter über die offenen grenzen fliehen. Drogenhandel, Waffenschmuggel und hunderte anderer Delikte die wegen der offen Grenzen stattfinden. Aber um Solche Delikte in die Studie einzubeziehen da fehlen die kognitiven Fähigkeiten den „Wissenschaftler“ bei der Bertelsmann Stiftung.

  2. Erich sagt

    Wenn die Wirtschaft wirklich die offenen Grenzen will, dann sollte sie sie haben, sofern sie die Kosten übernimmt. Bei Kosten je Flüchtling von circa 20000 Euro im Jahr kann man sich ausrechnen, um wie viel die Unternehmenssteuern dann erhöht werden müssen. Alleine für die aus dem letzten Jahr und für die zu erwartenden aus diesem Jahr (2 Mill.) dürften dies dann etwa 40 bis 50 Mrd für dieses Jahr werden, mit steigender Tendenz für die nächsten Jahre. Solche Milchmädchenrechnungen sind einfach lächerlich.

  3. @Sodomsky, alles richtig, allerdings haben auch normale Bürger Kosten- und Zeitersparnisse, wenn die Grenzkontrollen wegfallen. Das Problem: diese Ersparnisse betreffen viele, sind aber für die meisten gering (außer für Grenzpendler), da sie nicht so oft über die Grenze fahren müssen. Kosten der Kriminalität betreffen eher wenige, sind dann aber sehr hoch.

  4. Die Bertelsmann Stiftung kann jeder kaufen, der genug bezahlt. Sie bescherte Deutschland bis jetzt nichts, was für das Volk von Nutzen gewesen wäre.

  5. @Ein Wachsamer, die Bertelsmann Stiftung braucht sich nicht kaufen zu lassen, die haben genug Geld selbst.

  6. Klaus Domian sagt

    Ist doch absoluter Quatsch – wer berechnet denn die Staus auf deutschen Autobahnen durch verunfallte Brummis. Wurden eigentlich mal die Kosten aufgerechnet die uns durch die Klaubanden aus den osteuropäischen Ländern verursacht werden? Hier gilt aus meiner Sicht schon seit Jahren GRENZEN DICHT. Wurden die Kosten der Schäden an den Autobahnen aufgerechnet, die durch freien Grenzverkehr entstanden sind? Wurden die Kosten aufsummiert, die durch Produktion in Billiglohnländer wie Polen, Tschechien etc. verlagert wurden?
    Ich glaube, wenn man das einfliessen lassen würde könnte jeder LKW ne Woche an der Grenze stehen

  7. @Klaus Domian, das stimmt, wenn Grenzkontrollen dazu führen, dass der eine oder andere Lkw weniger fährt, dann hat das auch positive Auswirkungen. Und nein, das wurde in der Bertelsmann-Studie selbstverständlich nicht berücksichtigt.

  8. Andena sagt

    Der #Bundesgrenzschutz kostete im Jahr 2002 übrigens 1,9 Mrd € – mit Inflation würde er heute maximal 3 Mrd € kosten http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Bundeshaushalt/Haushalts_und_Vermoegensrechnungen_des_Bundes/haushaltsrechnung-und-vermoegensrechnung-des-bundes-Jahresrechnung-2002.pdf?__blob=publicationFile&v=2

    Dagegen müsste man die Kosten rechnen, die durch die Grenzsicherung wegfallen – hier insbesondere Kosten für Unterbringung und Finanzierung der illegalen Migration in Höhe von knapp 30 Mrd € je Jahr.

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