Zwischenruf

Brauchen wir ein neues Solidaritätsprojekt à la Gabriel?

Sigmar Gabriel 2013

Kurz vor den Landtagswahlen hat SPD-Chef Sigmar Gabriel durch einen Satz einen handfesten Koalitionskrach ausgelöst: „Unser Land … braucht auch ein neues Solidaritätsprojekt für die, die schon hier leben.“ Mit dem Problem der Minirenten, die auf die Grundsicherung aufgestockt werden müssen, spricht Gabriel zwar ein ernstes Gerechtigkeitsproblem an, das immer mehr Leute betrifft, er liefert allerdings falsche Begründungen wie auch falsche Lösungen.

Bundesfinanzminister Schäuble nannte Gabriels Forderung dann auch „erbarmungswürdig“ und Bundeskanzlerin Merkel meinte: „Ich finde, die SPD und der Vorsitzende Herr Gabriel machen sich damit klein.“ Nicht ganz zu unrecht verwies Merkel bei Anne Will auf eine ganze Latte von teuren, sozialpolitischen Maßnahmen, die ihre Bundesregierung in dieser Wahlperiode durchgeführt hat: Mütterrente, Rente mit 63, Mindestlohn usw.

Tatsächlich lässt Sigmar Gabriel bei seiner Begründung tief in die verquere Logik sozialdemokratischer Sozialpolitik blicken. Er meinte nämlich:

Wir müssen aufpassen, dass sich der Satz: „Für die Flüchtlinge macht ihr alles, für uns macht ihr nichts“ nicht in die Mitte der Gesellschaft frisst.

Das kann man so verstehen, dass der Maßstab für die SPD-Sozialpolitik nicht Bedürftigkeit oder Gerechtigkeit ist, sondern dass möglichst viele, vor allem dann auch die „Mitte der Gesellschaft“ profitieren. Sozialpolitik scheint in der Vorstellung von Sigmar Gabriel und seiner Genossen eine Art Füllhorn zu sein, dass der Reihe nach einmal über diese, einmal über jene ausgeschüttet wird. Und nachdem man den einen gegeben hat, muss man Gabriels Logik zufolge den anderen umso mehr geben.

Das ist natürlich eine unendliche Spirale. Aber daran schließt sich wohl die Hoffnung an, dass die dadurch Begünstigten später in tiefer Dankbarkeit dafür, dass sie einen Teil ihrer Steuergelder über den Umweg Sozialpolitik wieder zurückbekommen, die SPD wählen.

Minirenten und Grundsicherung

Allerdings muss man Gabriel zugestehen, dass er im Interview mit der BamS ein ernstes Gerechtigkeitsproblem anspricht:

Schon heute gibt es viele Menschen, die 40 Jahre gearbeitet haben und trotzdem nur eine Rente bekommen, die unter der Sozialhilfe liegt. Diese Zahl wird steigen, wenn das Rentenniveau wie vorgesehen bis 2030 auf 41 Prozent sinkt.

Tatsächlich haben Wissenschaftler der Uni Duisburg-Essen errechnet, dass man bei einem Rentenbeginn 2030 auch mit 40 Beitragsjahren und einem Verdienst von 80% vom Durchschnittslohn nur eine Rente auf dem Niveau von Grundsicherung und Hartz IV bekommt. Damit ist das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit für einen großen Teil der Bevölkerung, nämlich alle, die 80% oder weniger vom Durchschnittslohn verdienen, verletzt. Diese Leute haben jahrzehntelang in die Rentenversicherung eingezahlt, müssen dann aber trotzdem ihre Rente auf das Niveau der Grundsicherung aufstocken und haben damit am Ende keine Cent mehr, als wenn sie nichts in die Rentenversicherung eingezahlt hätten.

Es ist allerdings bezeichnend für die aktuelle Regierungspolitik, dass bisher nicht das eklatante Problem der Minirenten im Vordergrund gestanden hat, sondern die teure Rente mit 63, von der hauptsächlich Leute mit hohen Rentenansprüchen profitieren. Gut, wenn sich das rechtzeitig zum Wahlkampf 2017 ändert.

Ich warne allerdings davor, weiter an der Rentenformel herumzuschrauben. Dass die Höhe der Rente einzig von der Höhe der im Laufe der Zeit eingezahlten Beiträge abhängt, dieses sogenannte Äquivalenzprinzip ist auch ein Gerechtigkeitsprinzip. Schlimm genug, dass es bereits für die Rente mit 63 durchbrochen wurde.

Stattdessen sollte man die Berechnung der Grundsicherung ändern. Renten werden bisher voll auf die Grundsicherung angerechnet. Für Grundsicherungsempfänger bedeutet 1€ mehr Rente also gleichzeitig 1€ weniger Grundsicherung. Zukünftig könnte man stattdessen z.B. nur 60% oder 70% der Rente auf die Grundsicherung anrechnen. Damit wäre leicht nachvollziehbar gewährleistet, dass Einzahlungen in die Rentenversicherung sich auch für Grundsicherungsempfänger gelohnt haben. Und da die Grundsicherung aus Steuermitteln finanziert wird, hätte diese Lösung gleichzeitig den Vorteil, dass die Rentenversicherungsbeiträge nicht steigen müssen.

Geh nicht ohne Gruß, empfiehl bitte den Beitrag weiter!

Foto (von Moritz Kosinsky): Sigmar Gabriel 2013


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6 Kommentare

  1. Andena sagt

    Die Idee der 70%igen Anrechnung klingt zwar auf den ersten Blick gut, widerspricht aber der Logik. Die Grundsicherung ist nicht dafür da, die Rente anzuheben, sondern damit auch Rentner den Sozialhilfesatz erreichen.

    Nein. Das Problem liegt woanders. Es wird schlicht zu wenig in das Rentensystem eingezahlt. Die Basis für Rentenbeiträge muss dringendst erweitert werden. Es ist unredlich, wenn nur von Arbeitsentgelten Rentenbeiträge abgeführt werden aber nicht von anderen Ertragsarten.

    Die Schweiz macht vor, wie es geht.

  2. Amaretto sagt

    Rentenbeginn ist für mich um 2060. Ich gehe nicht davon aus, dass bis dahin die finanziellen und wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft / des Staates ausreichen, um Grundischerung zu erhalten.
    In den letzten 30 Jahrzehnten haben wir 3 Währungen (Mark, DM, €) erlebt, bis 2060 vielleicht noch eine weitere.

    Wie würde denn bei einem Währungsverfall die Rentendiskusison verlaufen? Also bspw. Krieg in Nahost, Euroverfall, Europazerfall, Entwertung aller Guthaben etc. Nach dem Übergang wären doch alle Ansprüche nur noch virtuell und müssten, ähnlich wie damals bei Helmut Kohl, von einem gütigen Gesetzgeber anerkannt oder verrechnet werden, oder wie könnte so etwas ablaufen?

  3. @Andena,
    bei Hartz-IV werden 80% der Arbeitseinkommen angerechnet, auch bei der Grundsicherung werden Arbeitseinkommen im Gegensatz zu Renten nicht zu 100% angerechnet. Mein Vorschlag ist also nicht außerhalb des Systems. Über Beitragsbemessungsgrenzen und über Beamte in der Rentenversicherung können wir gerne reden, ich bin aber strikt dagegegen andere Einkommen als Arbeitseinkommen zu berücksichtigen. Dann müsste man ja auch diese anderen Einkommen bei der Rentenhöhe berücksichtigen. Aber wozu? Dividenden gehen nicht in Rente, die kann man mit 80 noch genauso gut verdienen wie mit 30.
    @Amaretto,
    das ist mal eine interessante Idee für einen neuen Beitrag.

  4. Die Sozialleistungen dürfen ruhig angehoben werden, sie sind auf einem viel zu niedrigen Niveau. Wenn die SPD das anpackt, freut es mich.

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