Analyse

Streit um Mario Draghi: Falsche Gründe für Kritik am Zentralbankpräsidenten

DAVOS/SWITZERLAND, 25. JAN 13 - Mario Draghi, President, European Central Bank, Frankfurt is captured during the special address session at the Annual Meeting 2013 of the World Economic Forum in Davos, Switzerland, January 25, 2013. 

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Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, den Leitzins auf 0,0% zu senken, ist nun schon fast sechs Wochen alt. Trotzdem will die Diskussion darum nicht abflauen. Doch auch, wenn man – wie ich – die Geldpolitik Mario Draghis und den Nullzins falsch findet, nicht jede Kritik an der EZB ist gut begründet.

Das gilt natürlich zuerst für die Kritik von Finanzminister Schäuble, EZB-Präsident Mario Draghi sei mitverantwortlich für den Aufstieg der AfD. Diese Argumentation ist ein allzu durchsichtiges Manöver, um von eigenen Fehlern in der Euro- und in der Flüchtlingskrise abzulenken.

Überhaupt ist es falsch, sich auf die 0,0% zu fokussieren. Entscheidend ist immer der Realzins, also die Differenz zwischen Zins und Inflationsrate. Auch negative nominale Zinsen sind dann kein eigenständiges Problem, wenn die Inflationsrate noch weiter darunter liegt, wenn also Deflation herrscht und die Preise stark fallen. Der Sparer macht dann selbst bei negativen nominalen Zinsen einen realen Gewinn.

Bei gegenwärtig (März 2016) 0,3% jährlicher Preissteigerung in Deutschland bedeuten 0,0% allerdings einen leicht negativen realen Leitzins. Nur ist dieses Phänomen nicht neu. In Deutschland haben wir seit 2010 fast durchgehend einen negativen realen Leitzins. Zeitweise war die Differenz zwischen Leitzins und Inflationsrate sogar erheblich größer als heute. In der Spitze lag sie bei über 1,4%, das zeigt die folgende Grafik.

Mit Blick auf die Zinsen für auf ein Jahr angelegte Festgelder stellt die FAZ übrigens Ähnliches fest, zeigt aber auch, dass es auch vor 2010 Perioden mit negativen Realzinsen gab. Die aktuelle Phase ist allerdings die bei weitem längste und ihr Ende ist immer noch nicht in Sicht.

Verteilungspolitik ist nicht Draghis Aufgabe

Aber auch wenn wir die Realzinsen betrachten, ist es falsch, dies einzig aus Sicht des Kleinsparers zu tun. Aus politischen Gründen dominiert diese Sicht in der aktuellen Debatte. Es geht nicht zuletzt um die Möglichkeiten zu einer eigenständigen Alterssicherung. Das sind allerdings Verteilungsfragen und solche Fragen zu lösen, ist nicht die Aufgabe der EZB. Wenn man nun sieht, dass wegen der negativen Realzinsen eine private Alterssicherung für viele Leute nicht im ausreichenden Maß möglich ist, dann muss man die verteilungspolitischen Instrumente verbessern. So habe ich im Beitrag „Brauchen wir ein neues Solidaritätsprojekt á la Gabriel?“ durchaus dafür plädiert, die Anrechnung von Renten und anderen Einkünften auf die Grundsicherung zu vermindern.

Aus deutscher Sicht gibt es aber auch eine internationale Verteilungsfrage, die mit den negativen Realzinsen zusammenhängt. Die Deutschen sind eine Sparer- und Gläubigernation, insbesondere die Euro-Südländer sind Schuldnernationen. Negative Realzinsen bedeuten darum eine Umverteilung von Deutschland in die Südländer. Wer das ändern will, sollte allerdings einmal grundsätzlich überlegen, ob Deutschland in der Eurozone gut aufgehoben ist.

In einem weiteren Artikel zum Thema geht es dann um „Gute Gründe für Kritik am Zentralbankpräsidenten“.

Geh nicht ohne Gruß, empfiehl bitte den Beitrag weiter!

Foto (von Remy Steinegger): Mario Draghi auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2013


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7 Kommentare

  1. Jürgen sagt

    Negative Realzinsen sind in der Tat nichts Neues. Negative Nominalzinsen dagegen schon. Sie sind eigentlich völlig unnatürlich. Denn warum sollte man jemandem Geld leihen, wenn von vornherein klar ist, dass man absolut weniger zurück bekommt? Zumal durch den Verleihvorgang auch noch ein Ausfallrisiko, dass immer positiv ist, hinzukommt. Das Geld nicht verleihen wäre eigentlich logisch.

  2. Jimmy sagt

    Allein jemanden die Schuld zu geben für den Eintritt einer Partei in die politische Landschaft und deren Gedeihen, auch wenn der Herr Draghi nur die Hälfte der Stimmen zu verantworten hat :). Kommunisten suchen gerne die Schuld bei anderen, mehr sage ich nicht, außer dass erstgenannte Zeitgenossen gerne die Schulden bei anderen finden und beruhigt sich umdrehen während sie weiterschlafen.

    Unser Kreditgeld ist nicht das gelbe vom Ei, wenn es um das Thema sparen geht. Sparen im traditionellen Sinne geht gar nicht und so eben nur, wenn die Schulden vergemeinschaftet sind. Es wird zwar mit ein paar Tricks gearbeitet um vorzutäuschen, die Sparguthaben wären tatsächlich existent, aber ehrlich… Geld entsteht im Rahmen der Verwendung und der Rest inbesondere Finanzvermögen ist Illusion im Moment. Wenn mal so ein Umgang mit Geld gepflegt wird, dann erübrigt sich an sich jede Frage bezüglich der Kreditwürdigkeit.

    Unser Sparen stammt aus einer Zeit die wir in Zusammenhang mit dem Raab-Kamitz Kurs sehen, war aber eine Gemeinschaftsaktion mit Deutschland. Damit verbunden ist die Abschreibung so wie wir sie kennen. Die eiligere Entschuldung ist nicht unvorteilhaft.

    Ich wünsche mal den Herrn im angloamerikanischen Raum eine notwendige Neubewertung ihr vermeintlichen Assets. Die Brands waren der beste Beweis, diese hat kaum einer wirklich können abschreiben und als Notlösung werden diese immer höher bewertet. Die Bewertung ist nicht ganz willkürlich, aber zu großen Teilen Ausdruck von Schlagenöl – Big Brands. Auch diese Assets werden am Ende neu bewertet mit exakt 0.

    Erst wenn das Schlangenöl wieder zurückfließt in die Wirtschaft wird die Sache problematisch.

    Heute geht die Märe um alles könnte als Asset herhalten, da alles und jedes bewertbar wäre. Ein Fussballspieler ist am Ende ein Verwirrter der einem Ball nachläuft und diesen mit Milliarden zu bewerten… Solche Assets gurken durch die Gegend noch und nöcher und nicht nur Bällen hinterher.

    Der Sparer selbst hat kein Problem, das Geld ist nicht seines. Eigentlich kann er froh darüber sein. Letzteres ist vermutlich viel eher eine Aufgabe die aus ganz anderen Gründen sowieso ansteht. Vorsicht ist immer geboten, wenn die Produktivität zu groß ist und von einer oder einigen Positionen in deren Sinne gestaltbar.

    Erst wenn das Individuum für sich entscheidet was es bereit ist in den Güterpool zu legen, es das Geld und dessen Schöpfung klar kontrolliert, besser noch eigenverantwortet und eine nachfrageorientierte Bewirtschaftung willkommen heißt besteht eine Chance, dass die Menschheit nicht im Chaos der apokalyptisch anmaßenden Produktivität untergeht.

    Ich habe mit dem 0 Zins mal kein Problem. Real hat der Österreicher seit eh und je Negativzinsen am Sparbuch bezüglich der Kaufkraft über weite Perioden. Wie die Karies der kleine Schmerz, tut weniger weh. Die Zeit nagt am Zahn nur der Zahn der Zeit kann am Ende nicht mehr nagen. Die Sozis abzuwählen spart mehr Geld als eine Bank jemals Zinsen könnte erwirtschaften.

    Der Herr Draghi hat sich etwas unbeliebt gemacht insbesondere bei mir, da er etwas lapidar feststellte, ‚Die Genossenschaftsbanken hätten sich anzupassen‘. D.h. in der Praxis aber, dass der Kredit so wie wir ihn kennen zu den Akten gelegt werden soll. Eigenkaptialvorschriften und verringerte Einnahmen.

    Diese Aussage an Mitteleuropa kommt einer Kriegserklärung gleich. Man kommt aus der Extase im Rahmen der ‚Zinshurerei‘ nicht mehr zurück in redliche Gebaren. An dem Scheideweg sind wir. Die Frage im Kern im ganzen Product Mix ist, glaubt jemand, dass die Bewirtschaftung digitaler Güter nachhaltig ist?

  3. @Jürgen,
    wie geschrieben, im Falle einer Deflation, aber einer wirklichen, nicht nur einer eingebildeten wie zur Zeit, habe ich keine Probleme mit negativen Zinsen. Die Sparer hätten es auch nicht. Nur das Bargeld ist ein Hindernis. Der Sparkassenverband behauptet aber, dass bei der aktuellen Zinsgebühr der EZB für Banken von 0,3% die Bargeldhaltung noch nicht rentabel ist.
    @Jimmy,
    der Zins muss immer aus dem laufenden BIP bezahlt werden. Das ist unabhängig vom Geldsystem und wäre auch bei einem Goldstandard so.

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  5. Jürgen sagt

    Auch bei noch soviel Deflation entbehrt es jeder Logik etwas zu verleihen, wenn man genau weiß, dass man später weniger zurück bekommt (nominal und nicht nur real!) und zusätzlich das Risiko zu tragen hat, es überhaupt nicht zurück zu bekommen. So etwas nennt man verschenken nicht verleihen. Das machen manche aus Altruismus. Mit Negativzinsen würde es erzwungen. Eine Steuer zulasten der Sparer und zugunsten der Schulder. Bargeld ist insofern in der Tat ein Bollwerk gegen noch weitergehende Marktmanipulationen. Es abzuschaffen ein Angriff auf die Freiheit der Bürger.

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