Wirtschaftswurm-Blog

Unterschiedlich lange Jahresarbeitszeiten in der EU, unterschiedliche hohe Erwerbsquoten

Arbeitszeit 2013 Vollzeit Ausschnitt

Hohe Jahresarbeitszeiten in einem Land scheinen nicht nur als Ausgleich für eine geringe Arbeitsproduktivität zu dienen, sondern auch als Ausgleich für eine geringe Erwerbsquote. Der Unterschied zwischen „faulen“ und „fleißigen“ EU-Bürgern kann so zum Teil erklärt werden.

Für die Deutschen Wirtschafts Nachrichten habe ich letzte Woche einen Artikel recherchiert, nach denen Rumänen und Griechen am längsten innerhalb der EU arbeiten, gemessen an der Jahresarbeitszeit im Jahr 2013. Hier einmal die Arbeitszeiten für alle EU-Staaten (außer den Ministaaten) in einer Grafik im Vergleich:

Durchschnittliche tatsächliche Arbeitszeit 2013 (Vollzeitbeschäftigte)

Auf den ersten neun Plätzen befinden sich ehemalige Ostblockstaaten sowie Griechenland. Dieses Bild ändert sich nicht wesentlich, wenn man statt der durchschnittlichen Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten die aller Beschäftigten berücksichtigt:

Durchschnittliche tatsächliche Arbeitszeit 2013

Auch nach dieser Statistik dominieren die ehemaligen Ostblockstaaten sowie Griechenland die ersten Plätze. Die Unterschiede zwischen sind sogar gewachsen. Dies liegt daran, dass es im Osten und Südosten Europas sehr wenig Teilzeitbeschäftigte gibt. Zwischen 2,7% (Bulgarien) und 10,2% (Estland) der Arbeitnehmer arbeiten dort teilzeit.

Die meisten Teilzeitarbeitsplätze gibt es dagegen in Schweden, Österreich, Dänemark und Deutschland (rund 26 bis 27%) sowie vor allem in den Niederlanden. 50,8% der Arbeitnehmer – mehr als die Hälfte – arbeiten in den Niederlanden nicht Vollzeit. Dadurch wird das Land zu dem EU-Mitglied mit der geringsten durchschnittlichen Arbeitszeit aller Arbeitnehmer.

Im Artikel für die DWN habe ich die Arbeitszeiten im Zusammenhang mit der Arbeitsproduktivität interpretiert. Lange Arbeitszeiten kann man demnach als Ausgleich für eine geringe Arbeitsproduktivität ansehen.

Einen anderen Zusammenhang möchte ich jetzt hier darstellen. Wenn man sich nämlich die Erwerbsquoten in den einzelnen Ländern anschaut, fällt auf, dass die Länder mit kurzer Arbeitszeit eher hohe Erwerbsquoten haben, die mit langer Arbeitszeit eher geringe Erwerbsquoten.

Erwerbsquoten 2013

Die Erwerbsquote ist der Anteil der Bevölkerung, der tatsächlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Das sind die Erwerbstätigen plus die Erwerbslosen. Kinder, Schüler, Studenten und Rentner, aber auch z.B. Hausfrauen zählen nicht dazu.

Lange Arbeitszeiten in einem Land scheinen demnach auch ein Ausgleich für eine geringe Erwerbsquote zu sein. Das erkennt man zudem, wenn man die Erwerbsquote mit der durchschnittliche Jahresarbeitszeit der Beschäftigten malnimmt. Das habe ich mal gemacht. Man erhält damit eine erste Näherung für die durchschnittliche Jahresarbeitszeit pro Kopf der Gesamtbevölkerung. Und hier sind die Unterschiede zwischen den einzelnen EU-Staaten tatsächlich viel geringer als bei der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit pro Beschäftigten. Dies sieht man auch am Variationskoeffizienten, der 8,8% statt 10,5% beträgt und damit eine geringere Streuung anzeigt.

Eine bessere Näherung für die Arbeitszeit pro Kopf wäre es allerdings, wenn man die durchschnittliche Jahresarbeitszeit der Beschäftigten nicht mit der Erwerbsquote malnimmt, sondern mit der Erwerbstätigenquote. Dann wären die Arbeitslosen raus. Mit der Erwerbsquote als Multiplikator werden die Arbeitslosen aber genauso berücksichtigt, als würden sie genauso viel arbeiten wie der Durchschnitt. Man kann das so deuten, dass die Ergebnisse eher statt der tatsächlichen Arbeitszeit pro Kopf die nachgefragte Arbeitszeit pro Kopf wiedergeben.

Aber nehmen wir statt der Erwerbsquote die Erwerbstätigenquote als Multiplikator für die durchschnittlichen Jahresarbeitszeit! Auch das habe ich gemacht. Als Variationskoeffizient ergibt sich dann 9,8% und damit zwischen den beiden oben genannten Variationskoeffizienten.

Wir können also feststellen, dass die nachgefragte Arbeitszeit pro Kopf zwischen den EU-Staaten weniger variiert als die tatsächliche Arbeitszeit pro Kopf und dass die tatsächliche Arbeitszeit pro Kopf weniger variiert als die tatsächliche Arbeitszeit pro Beschäftigten. Stehen also viele Leute dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, aus welchen Gründen auch immer, will die Erwerbsbevölkerung dies teilweise durch längere Arbeitszeiten ausgleichen. Der teilweise Ausgleichswunsch gelingt aber selbst nur teilweise.

Geh nicht ohne Gruß, empfiehl bitte den Beitrag weiter!


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7 Kommentare

  1. Moxy sagt

    Danke für die Darstellung, die nach dem verfolgten Ansatz zeigt, dass es heutzutage nicht nur um Arbeit an sich, sondern um die Verteilung von Arbeit in der Gesellschaft geht.
    Gerne würde ich dazu hier auch einen historischen Vergleich sehen (so denn Daten dafür zu bekommen sind), der die Ergebnisse aus den südöstlichen Randstaaten der EU mit der Entwicklung der letzten 100 Jahre in D, NL bzw. den skandinavischen Ländern vergleicht.
    Hat eine sozialstaatliche Entwicklung Einfluss auf Verteilung der Arbeit? Und wenn ja, in welchem Stadium befände sich GR im Vergleich zu D vor 50 Jahren? Welchen Einfluss hatte die Verkürzung der Wochenarbeitszeit in den 50-er bis 70 Jahren in D? Ist dieses Modell auf andere Länder Übertragbar? Welche Folgen lassen sich für Experimente vermuten (Göteborg), nach denen eine massive Verkürzung der Arbeitszeit (bei Lohnausgleich) einen kompensierenden und zusätzlichen Produktivitätsschub erwartet lassen?

  2. Pingback: Kleine Presseschau vom 8. Juli 2014 | Die Börsenblogger

  3. Stefan Rapp sagt

    @Moxy ist schon wieder Weihnachten ? 😉

  4. Häschen sagt

    Denke Arbeit lässt sich an sich in beliebig viel Stunden organisieren. Wenn alle nurmehr 30 Stunden machen geht das vermutlich genauso. Wenn aber viele Menschen über Stunden verrechnet werden ist eher das Bestreben hoch die 40 Stunden auszunützen. Ungerecht einerseits gegenüber denjenen die 40 Stunden müssen machen und auch gegenüber den anderen die 40 Stunden müssen in der Arbeit rumsitzen damit die anderen sich nicht benachteiligt fühlen.

  5. Eine Verknüpfung zur wirtschaftlichen Leistungsfägihkeit eines Landes wäre auch noch spannend. Da existieren ja auch enorme Unterschiede zwischen den Ländern aber auch unter den Betriebsformen. Da spiegelt sich auch wieder das in kleinen Teams im Mittelstand eine höhere Produktivität herrschlt als in einer Abteilung im Großkonzern. Und doch kann die Abteilung monetär gesehen, die produktivere sein.
    Daneben hab ich mal das Phänomen erlebt, dass bei vergebenen Auftragsarbeiten mit Bonus für eine Fertigstellung vor dem kalkulierten Termin immer sehr schnell die Ergebnisse erzielt worden, obwohl diese ja arbeitstechnisch für einen längeren Zeitraum geplant waren. Sprich wenn eine Zeitspanne X zur Verfügung steht wird diese bei einer Stundenvergütung auch gebraucht.

  6. Torben Schumacher sagt

    wie konnt ich den übersehen? Wahrscheinlich weil ich erst einmal diesen Text lesen wollte. Danke für den Hinweis.

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