Am Sonntagnachmittag erzwang ein unzufriedenes Publikum in der Kölner Philharmonie den Abbruch einer Musikdarbietung. Der eigentliche Skandal liegt jedoch im arroganten Verhalten der subventionierten Kölner Musikverantwortlichen – vor, während und nach dem Konzert. Es zeigt sich, zu welchen Auswüchsen fehlende wirtschaftliche Anreize führen.
Die Vorfall selbst ist schnell erzählt: Der Iraner Mahan Esfahani hat am Sonntag in Köln das Stück „Piano Phase“ von Steve Reich zum besten gegeben. Offensichtlich missfiel das Stück aber einem großen Teil des Publikums. Es buhte, klatschte und lachte und erzwang so den Abbruch der Darbietung. Man kann den Vorfall im Kölner Stadtanzeiger nachlesen.
Die Presse ist nun einhellig empört. Die Rheinische Post zitiert: „Was für eine unglaubliche Ignoranz und Intoleranz“. Weil der Interpret zufällig Iraner war, fragt „Die Welt„: „Ausländerfeindlich?“, kommt dann allerdings zum Schluss „Eher … ein Ausdruck einer zunehmenden Verrohung der Sitten.“ Selbst der Kölner Stadtanzeiger griff zum Mittel der Publikumsbeschimpfung.
Dieselbe Presse glaubt allerdings, ihrem eigenen Publikum nur einen kurzen Ausschnitt von 1:09 Länge aus „Piano Phase“ zumuten zu können. Ist eine solche Verhackstückung nicht ebenso respektlos? Darum hier mal das vollständige Stück, 18:07 lang, von Tine Allegaert und Lukas Huisman gespielt.
Ich find’s übrigens ansatzweise interessant, aber auch ich hab’s nur bis 10:25 ausgehalten. Nur in einer besonders meditativen Stimmung würde ich’s wohl bis zum Ende anhören können. Im Übrigen ist das Stück nicht neu, sondern bereits 50 Jahre alt und hat es trotzdem nie zu einer gewissen Popularität geschafft.
Aber warum muss ich mich nun als Wirtschaftswurm mit „Piano Phase“ befassen? Ich muss mich damit befassen, weil der eigentliche Skandal an der Sache bisher von der Presse noch nicht einmal ansatzweise benannt wurde. Ich meine nämlich das arrogante Verhalten des subventionierten Musikbetriebs gegenüber seinem Publikum, wie es sich gerade bei und nach dem Auftritt Mahan Esfahanis in Köln zeigte. Und solche Arroganz kann nur bei falschen wirtschaftlichen Anreizen gedeihen. Im Subventionsbetrieb gehen die Anreize hauptsächlich dahin, durch Lobbyarbeit Gelder zu beschaffen, kaum dahin zu versuchen, die Interessen des Publikums zu erforschen, zu beachten und zu befriedigen.
Das begann in der Kölner Philharmonie schon mit der englischen Ansprache Esfahanis vor Beginn des Stückes. „Reden Sie doch gefälligst Deutsch!“ schallte es ihm da aus dem Saal entgegen. Tatsächlich hätte jeder, der sich auch nur ein Stück Gedanken über das Publikum gemacht hätte, wissen können, dass das Sonntagsnachmittagspublikum in Köln hauptsächlich aus Älteren besteht. Und er hätte wissen können, dass die Englischkenntnisse bei Älteren häufig gering und eingerostet sind. Warum gab es also keinen Dolmetscher für Esfahani?
Ein weiterer Fehler war, dass Esfahani nicht das Stück zu Ende gespielt hat, nachdem sich die Aufregung im Saal gelegt hatte und ein großer Teil des Publikums gegangen war. Immerhin gab es ja noch ein paar Leute, die dageblieben waren und dafür gezahlt hatten, das Stück zu hören. Offensichtlich braucht man im subventionierten Musikbetrieb aber auf sie keine Rücksicht zu nehmen.
Schließlich aber die Krönung aller Arroganz: Der Kölner Intendant Laurenz Langevoort will Esfahani mit genau dem Stück, das beim Kölner Publikum überhaupt nicht ankommt, noch einmal einladen. Kann sich jemand so etwas in der freien Wirtschaft vorstellen? Z.B. ein Chefkoch, der merkt, dass niemand Spinat als Beilage will, und nun absichtlich bei vielen Gerichten nur Spinat als Beilage anbietet, damit die Leute endlich lernen, wie gut Spinat schmeckt und wie gesund er ist?
Aber vielleicht gibt es irgendwann auch subventionierte Restaurants für „gesunde Küche“. Das wären schlechte Zeiten für den gesunden Geschmack.
Geh nicht ohne Gruß, empfiehl bitte den Beitrag weiter!
Wie hast Du bloß 10 Minuten ausgehalten?
Diese immer gleiche Tonfolge ist langweilig und nervig.
Es gab an diesem Nachmittag ja auch viel massentaugliches, und das Konzert sollte neben dem Gewohnten auch Ungewohntes bieten. Stand so im Programm. Wer das Ungewohnte dann nicht hören mag, nachdem er oder sie die Standards genossen hat, muss nicht bleiben.
Zwölf Minuten eine neue Erfahrung zu machen bringt keinen im Publikum um. Stichwort: Filterblase (des „Klassikpublikums“). Und nicht vergessen: Dieses Stück war vor 50 Jahren zeitgenössisch.
Sicher wird mit öffentlichen Geldern viel Schindluder getrieben. Aber in diesem Fall hat der Intendant wohl mehr richtig als falsch gemacht.
@Andena,
wirklich nur mit eisernem Willen, da ich glaubte, mir selbst anhören zu müssen, wovon ich schreibe.
@Joachim Herbert,
wenn es nur darum ginge, dass sich ein Intendant einmal verschätzt hätte bei dem, was er seinem Publikum zumuten kann. Aber die Sache ist doch symptomatisch. Wieso reicht es nicht, wenn Estafahni vor dem aufnahmebereiten Publikum von Studenten der Kölner Musikhochschule spielt? Weil man ihm dann nicht so eine hohe Gage zuschanzen könnte?
@Arne Kuster,
Das Programm kannte jeder Besucher vorab. Da muss man dann nicht meckern, wenn es ganz grundsätzlich nicht gefällt. Um die Gage ist es definitiv nicht gegangen bei der Programmgestaltung, sondern um Cembalomusik in verschiedenen Zeitaltern.
Deshalb war zunächst ja auch jede Menge Bach zu hören, sehr zum Wohlgefallen des Publikums. Nochmal: Ich halte es für richtig, das Klassikpublikum aus seiner Filterblase zu holen. Man kann dann ja beim nächsten Mal zuhause bleiben, wenn Reich auf dem Programm steht.
Andererseits: Über Geschmack läßt sich nicht streiten.
In der Lügenpresse konnte ich dazu keinen Kommentar posten. Ich finde es sehr gut, wie das Publikum seinen berechtigten Unmut geäußert hat. Bitte mehr davon und nicht den Systemlingen nachgeben, die Deutschland offenbar sehr zu hassen scheinen. In Deutschland wird DEUTSCH gesprochen und dieser Punkt ist nicht verhandelbar. Lügenpresse und Einheitspartei sind in der Sterbephase und agieren bei Gegenwind wie angeschossene Wildschweine.
Die eigentliche Unverschämtheit ist den sogenannten „Kulturbeitrag“aus Steuermitteln zu subventionieren. Damit subventioniert der einfache Arbeiter dem Zahnarzt seinen Theaterabend usw.
@Joachim Herbert, wenn die Leute zuhause blieben und der Konzertsaal leer, gäbe es zwar keinen Eklat, die Kritik am Intendanten müsste aber genauso heftig sein. Ich habe ja nichts dagegen, wenn „Piano Phase“ öffentlich subventioniert aufgeführt wird, weil es ein Stück Musikgeschichte ist. Aber dann bitte kostensparend mit unbekannten Interpreten für die 20-30 Leute in Köln, die das interessiert. Denn auch @Andreas hat recht, die Kultursubventionen bedeuten im Endeffekt eine Umverteilung von unten nach oben und schon allein deshalb stehen die Verantwortlichen in der Pflicht.
Das sehe ich auch so, dass der eigentliche Skandal ist, wie hier mit Steuergeldern umgegangen wird. Nämlich Kultur für eine kleine Gruppe zu subventionieren, die sich das zu einem großen Teil (sicher nicht alle) auch zu Kosten deckenden Preisen leisten könnte.
Das Rassismus-Geschwafel auf Twitter und in diversen „Qualitätsmedien“ wirkt mittlerweile nur noch lächerlich. Eine deutsche Erklärung zu fordern finde ich selbstverständlich. Wenn der Künstler kein Deutsch kann – kein Problem, dafür gibt es Dolmetscher. Die kosten auch nur einen Bruchteil dessen, was der Rest der Künstler bekam. Und einen Künstler für seine Darbietung auszubuhen – nun ja, damit muss ein Künstler leben oder den Beruf wechseln… auch wenn er Iraner ist.
Ich war mal bei einer einwöchingen Schulung die wir abgebrochen haben. Die Umgangsformen haben sie nicht ‚verschlechtert‘ und die Sitten der Zuhörerschaft verrohen auch nicht mehr und mehr.
Jetzt muss ich ein wenig ausholen, denn es bedarf einer gewissen Beschreibung der Stimmung. Ca. 20 Schulungsteilnehmer lernten im Rahmen eines Kurses über Administration. Der Rechner auf dem der ‚Server‘ lief war so schwach, dass die Responsetime (Antwortzeit) im Minutenbereich lag.
Daraufhin wurde ausgemessen wieviele Teilnehmer gleichzeitig die Übungsaufgaben bewerkstelligen konnten. Die festgelegte Zahl war 4 gleichzeitig, Das Publikum wurde um Verständnis gebeten. Wir wären ja allein die Administratoren, aber der wesentlich wichtigere Kurs, die Reportingumgebung liefe parallel und davon gleich 2. Mit dem konnte keiner rechnen. Das Reporting ist für den Verkauf wichtiger :). Die Teilnehmer sollen in die Unternehmen zurückgehen und berichten wie toll usw…
Der Vortragende war eigentlich für Reporting zuständig, konnte den Administrationskurs nicht vorbereiten aus Zeitmangel und musste permanent die Fragen über ‚zu technische‘ Details beim Team Lead einholen.
Auf Deutsch: Die Hausmütterchen saßen bei Kaffee und Kuchen jederzeit bereit ganz gekonnt einen Bericht über rote, grüne und blaue Zuckerl zu erstellen, sofern sie die Maus am Tisch noch als solche konnten identifizieren und bspw. Berater, die eigentlich beim Kunden sein sollten, saßen neben mir. Besserung wurde für den dritten Tag versprochen.
Einmal legte sich noch die aufbrausende Stimmung. Dann hat der Vortragende genau noch ein schnippischen Kommentar fallen lassen. Im nächsten Augenblick ist mein Sitznachbar über den Tisch gesprungen, der Vortragende hat in der Zuhörerschaft geblickt und die Flucht ergriffen, sodass die Federn vom Pfau im Schulungszentrum in Walldorf verstreut lagen. Die Schande von Walldorf würde das heute heißen in den Medien.
Vertreter von Organisation, die leichten Zugang zu Geld haben und ein Trugbild kommunizieren, haben irgendwann mal das Problem, dass sie den Empfangenden eines Gutes im Kontext ihrer Traumvorstellung von gelungenem Tausch dazu zwingen wollen sich der ungewollten Bemutterung zu erfreuen.
[gekürzt vom Admin]
Was auch immer das Publikum in Köln dazu bewogen hat einen Eklat zu veranstalten, es ging den Leuten sicherlich nicht darum, gegen den subventionierten Kulturbetrieb zu protestieren. Von daher verwundert es mich, dass Du das Ereignis zum Anlass nimmst und quasi als Trittbrettfahrer Deine eigene Agenda hineininterpretierst. Zumal das Ganze ja durchaus einen üblen Geruch nach Ressentiment und Ignoranz ausströmt.
Ich lebe seit einigen Jahren in den USA und meiner Ansicht nach führt das Fehlen eines öffentlichen Kulturbetriebs vor allem zu dessen gänzlicher Abwesenheit in der Provinz. In den US-Metropolen, wo klassische und zeitgenössische Musik zu hören ist, da ist auch Steve Reich mit dabei.
Ich bin persönlich sehr froh darüber, dass nicht immer nur der Markt das sagen hat und ich neben dem Broadway auch noch weniger massentaugliche Unterhaltung geniessen darf.
@Stefan Wehner, ich hab zwar hier in den Kommentaren auch meine eigenen Vorstellungen zum besten gegeben, wie und wann man „Piano Phase“ subventionieren sollte, der Artikel selbst beschäftigt sich aber nur mit einem Missstand (Arroganz des Musikbetriebs) und seinen Ursachen (Subventionsmentalität). Lösungsmöglichkeiten gibt es verschiedene, man könnte auch mehr Marktelemente bei der Subventionsverteilung einbauen, z.B. dass man die Zufriedenheit des Publikums berücksichtigt.
Andreas Döding in Zettels Raum kommentiert in eine ähnliche Richtung wie ich: Schon wieder Köln. Döding verteidigt das Recht des Publikums zu deutlichen Unmutsäußerungen.
Die Vorstellung von Intendant Langevoort, die Zuhörer müssten auf jeden Fall schweigend und sittsam 20 Minuten lang alles über sich ergehen lassen, ist autoritär. So etwas steht einem Subventionsempfänger aber überhaupt nicht zu. Und dass andere Zuhörer nicht das Stück so genießen konnten wie geplant, müssen sich auch allein die Aufführenden anrechnen lassen. Wie schon oben geschrieben, hätten sie, nachdem die Unzufriedenen gegangen waren, „Piano Phase“ neu beginnen müssen.
@Stefan Wehner
Der Wurm ist also ’n Trittbrettfahrer, so so. Gut, daß ich von der besseren Seite der Menschheit darüber aufgeklärt wurde.
„Zumal das Ganze ja durchaus einen üblen Geruch nach Ressentiment und Ignoranz ausströmt.“
Schreib doch gleich „Ausländerhass,“ dann haste deine Pflicht erfüllt. Wie man eine Unmutsäußerung von breiten Teilen eines Publikums so „umdeuten“ kann, ist mir schleierhaft.
„Was auch immer das Publikum in Köln dazu bewogen hat einen Eklat zu veranstalten, es ging den Leuten sicherlich nicht darum, gegen den subventionierten Kulturbetrieb zu protestieren.“
Das schreibt Arne Kuster auch nicht.
Zu dem ‚WAS auch immer…bewogen hat‘ gibt’s im Text Hinweise (Tipp: Hat mit der Musik zu tun), insofern: Nochmal lesen schadet nicht.
Ich möchte in dem zusammenhing auch noch mal an Marcel Reich-Ranicki erinnern der mit der Ablehnung des deutschen Fernsehpreis auch zum Ausdruck brachte was er von den meisten Darbietungen der Öffentlich-rechtlichen hielte. Er hatte dabei auch wenig Rücksicht auf die Empfindungen der Künstler und des Publikums genommen wobei er natürlich bis er dran war mit seiner Kritik gewartet hat und diesen Mist so lange respektvoll ertrug. Klaus Kleber sprach in dem Zusammenhang von einem intellektuellen Weckruf um dann einige Jahre später sich heulend vor die Kamera zu stellen.
Reich Ranicki: http://www.youtube.com/watch?v=KWuinyJgKew
Klaus Kleber: http://www.youtube.com/watch?v=Z1zvfLk065I
@Stefan Rapp, der Hinweis auf Reich-Ranicki passt. Zeigt mal wieder, dass mit Kritik ganz verschieden umgegangen wird, je nachdem, wer kritisiert.
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