Wirtschaftswurm-Blog

Entwicklungen im deutschen Warenhandel 2000-2011 – Teil 2: Die Spaltung Europas

Nimmt man das Saldo der Leistungsbilanz als Kriterium, kann man die europäischen Staaten in drei verschiedene Blöcke einteilen. Und der deutsche Warenhandel mit diesen drei Blöcken entwickelte sich in den vergangenen Jahren ganz unterschiedlich. (Dies ist übrigens der zweite Teil eines Artikels. Den ersten findet man unter: Teil 1 – Der Bedeutungsverlust Europas.)

Das von der Bertelsmann-Stiftung entwickelte interaktive Online-Tool Gedviz erlaubt, Staaten nach bestimmten Kennzahlen zu sortieren. Für Visualisierung 1 habe ich mal die europäischen Staaten im Uhrzeigersinn nach dem Saldo der Leistungsbilanz im Jahr 2007 geordnet.

Macht man das für verschiedene Jahre, erkennt man schnell, dass es in Europa einen stabilen Block an Ländern gibt, die fast jedes Jahr Leistungsbilanzüberschüsse produzieren. Das sind die skandinavischen Länder, die Beneluxländer sowie die deutschsprachigen Länder.

Alle anderen Länder weisen dagegen fast immer ein Leistungsbilanzdefizit auf. Es gibt eine Ausnahme: Frankreich. Frankreich hatte 2000-2005 einen Überschuss, wechselte dann aber auf die Defizitseite. Vielleicht entwickelt sich auch Estland zu einer Ausnahme. Nachdem es bis 2008 immer ein Minus in der Leistungsbilanz hatte, erzielte es 2009-2011 ein Plus.

Die Defizitländer (inklusive Frankreich und Estland) kann man weiter in zwei Blöcke unterteilen. Da sind zum einen die 10 west- und südeuropäischen Staaten von Island über Frankreich und Portugal bis Zypern und zum anderen die 10 osteuropäischen Staaten von Estland bis Bulgarien. Die Überschussländer (ohne Deutschland als „Nordeuropa 9“ bezeichnet) bilden dann den dritten europäischen Block.

Visualisierungen 2 bis 4 oben zeigen nun die relative Entwicklung des deutschen Warenhandels mit den drei europäischen Blöcken von 2000 über 2007 bis 2011. Die entscheidenden Daten habe ich noch einmal in einer Tabelle zusammengefasst. Die Prozentzahlen beziehen sich auf die deutschen Gesamtexporte in bzw. Gesamtimporte aus den 46 Staaten des Datensatzes.

Deutsche … 2000 2007 2011
… Exporte nach Nordeuropa 9 30,6% 30,9% 29,0%
… Importe aus Nordeuropa 9 30,4% 30,9% 28,6%
… Exporte nach West-/ Südeuropa 10 34,8% 32,1% 28,2%
… Importe aus West-/ Südeuropa 10 32,7% 27,9% 25,4%
… Exporte nach Osteuropa 10 8,2% 12,0% 12,0%
… Importe aus Osteuropa 10 9,2% 12,4% 14,3%

Die Werte zeigen: Die wettbewerbsfähigen Länder Nordeuropas fielen in ihrer relativen Bedeutung für den deutschen Warenhandel nach 2007 leicht ab, konnten aber ihre Stellung einigermaßen behaupten.

Die Bedeutung Osteuropas für den deutschen Warenhandel nahm zu. Interessanterweise verzeichnet Deutschland im Warenhandel mit diesen Ländern häufig ein Defizit. (Der Wert der Einfuhren in € übertrifft den der Ausfuhren.)

Als Problemkind für den deutschen Handel erweist sich die Gruppe „West- und Südeuropa 10“. Das ist die Gruppe, die die bedeutendsten europäischen Volkswirtschaften neben Deutschland umfasst: Großbritannien, Frankreich, Italien. Die Bedeutung der Gruppe „West- und Südeuropa 10“ für den deutschen Export sank von 34,8% im Jahr 2000 auf 28,2% 2011. Und beim deutschen Import sank der Anteil dieser Gruppe von 32,7% auf 25,4%.

Die Bedeutung der Gruppe „West- und Südeuropa 10“ nahm dabei zunächst als Herkunftsland für deutschen Einfuhren ab und danach erst als Zielland für deutsche Ausfuhren. So erfolgte der größte Anteilsrückgang beim Import bereits 2000-2007, der größte Anteilsrückgang beim Export dagegen 2007-2011.

Kleines Fazit

Ich will meine kleine Analyse des deutschen Warenhandels nun beenden. Vielleicht erbrachte sie ja einige Muster, die darüber hinaus allgemein für den internationalen Warenhandel gelten? Solche Muster könnten sein:

  • Dauerhaft stabile Handelsbeziehungen gibt es vor allem mit wettbewerbsfähigen Staaten, die einen Leistungsbilanzüberschuss aufweisen. Das sind z.B. die Länder der Gruppe „Nordeuropa 9“.
  • Bei Staaten mit Leistungsbilanzdefizit scheint es von weiteren Faktoren abzuhängen, ob die Handelsbeziehungen sich über- oder unterdurchschnittlich entwickeln.
  • Ein Alarmsignal für den Handel mit Defizitstaaten kann sein, dass bereits die Einfuhren aus diesen Ländern (relativ) sinken. Dann muss damit gerechnet werden, dass in einer späteren Phase als Ausgleichsreaktion auch die Ausfuhren in diese Staaten sinken.

Die Spaltung Europas, die sich in der Entwicklung des deutschen Außenhandels zeigt, wirft darüber hinaus ein fahles Licht auf die Währungsunion.


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6 Kommentare

  1. Pingback: Entwicklungen im deutschen Warenhandel 2000-2011 – Teil 1: Der Bedeutungsverlust Europas | Wirtschaftswurm

  2. Moxy sagt

    Habe ich das richtig verstanden, dass die Handelsbilanz nur eine Teilbilanz der Leistungsbilanz ist? Angenommen, die Differenz zum Ausgleich erfolgte nur über die Kapitalbilanz, wären dann die Beobachtungen nicht genau engegengesetzt? Also zB die überdurchschnittliche Entwicklung eines Kapitalbilanzüberschusses ein Warnzeichen?
    So wie man auch die verstärkte Kreditaufnahme eines privaten Haushalts entweder als „Leben auf Pump“ oder „Investition in nachhaltige Vermögenswerte“ interpretieren kann?
    Nur eben auf volkswirtschaftlicher Ebene…

  3. Wirtschaftswurm sagt

    @Moxy,
    ja, die Handelsbilanz ist nur eine Teilbilanz der Leistungsbilanz. Die Handelsbilanz umfasst die Warenströme. Bei der Leistungsbilanz kommen noch die Dienstleistungen und die Übertragungen hinzu. Der grenzüberschreitende Handel von Dienstleistungen hat zwar in den letzten Jahrzehnten noch stärker zugenommen als der Warenhandel, trotzdem macht die Handelsbilanz immer noch den Hauptteil der Leistungsbilanz aus. Dass man bei Gedviz einerseits Handelsbilanzdaten hat und andererseits das Leistungsbilanzsaldo ist natürlich nicht ganz stringent.
    Zu deiner Frage konkret: Ein Leistungsbilanzdefizit wird stets durch einen Kapitalbilanzüberschuss ausgeglichen. Insofern hast du recht, aber deine Argumentation entspricht zunächst meiner, ist nur von der anderen Seite aufgerollt.
    Anders als ich, glaubst du aber wohl, dass ein Leistungsbilanzdefizit auch eine „Investition in nachhaltige Vermögenswerte“ bedeuten kann. Theoretisch ist das sicher auch möglich. Aber mich interessiert da mal ein reales Beispiel. Wachstumsstarke Länder wie China z.B. haben in der Regel auch einen Leistungsbilanzüberschuss.

  4. Wirtschaftswurm sagt

    Ja, „Never Mind the Markets“ ist ein guter Blog. Also dass ein Leistungsbilanzüberschuss durch ein Kapitalbilanzdefizit ausgeglichen wird, gilt nur, solange die Zentralbank keine Devisenreserven auf- oder abbaut. In der Eurozone kann der Ausgleich auch über die Targetsalden erfolgen.

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