Wirtschaftswurm-Blog

Die Target-2-Salden sind nicht nur Symptom

Mit einem Brief des Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann an EZB-Chef Mario Draghi nahm die Target-2-Debatte in den deutschen Wirtschaftsblogs erneut an Fahrt auf. Nach wie vor wird versucht, die Bedeutung der Target-2-Salden klein zu reden.

Präsident des ifo-Instituts Hans-Werner Sinn

Er begann die Target-2-Debatte: Hans-Werner Sinn

Leider herrscht bei einigen Bloggern noch immer Verwirrung über den Zusammenhang von Leistungsbilanzdefizit und Target 2. Olaf Storbeck (Handelsblog) darf sich hier angesprochen fühlen. Lieber Olaf, eine Korrelationen zwischen Target-2-Defizit und Leistungsbilanzdefizit der Europroblemländer wird von Hans-Werner Sinn nicht behauptet. Ihr Fehlen beweist gar nichts. Es ist bekannt, dass die Target-Defizite der Europroblemländer genauso durch Kapitalflucht wie durch einen Importüberschuss wachsen können.

Entscheidend ist, dass die EZB nicht steuern kann, ob die Targetkredite für das eine oder das andere benutzt werden. Oder wie es Mark Schieritz als Antwort auf meinen letzten Blogbeitrag zu Taget 2 geschrieben hat: „Die EZB stützt Leistungsbilanzen, auch wenn sie Kapitalflucht kompensiert.“ Hier bin ich mit Schieritz einer Meinung, auch wenn wir beide dann den Sachverhalt unterschiedlich bewerten.

Klar wird es, wenn man das Pferd von vorne aufzäumt: Wie finanzieren eigentlich die Griechen aktuell ihr Leistungsbilanzdefizit? In Abwesenheit privater (Netto-)Kredite aus dem Ausland kommen hier nur der Euro-Rettungsschirm und eben die Target-Salden infrage.

Derselbe Fehler wie bei Storbeck findet sich übrigens auch bei Kantoos. Kantoos irrt darüber hinaus, wenn er schreibt: „Die Target-Salden sind ein Symptom, nicht mehr.“ Die Target-Salden sind zwar Symptom, aber auch mehr. Ich würde sie mit der Antriebswelle eines Kraftfahrtzeugs vergleichen.

Und damit bin ich schon bei Kantoos berechtigter Frage, welche Alternativen es denn zum heutigen Targetsystem gibt; der Gegenentwurf also.

Rein theoretisch könnte man sich eine Währungsunion ohne Targetsalden durchaus vorstellen. In einem solchen System ließe sich der ständiger Ausgleich im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr so organisieren: Meine Überweisung von Griechenland nach Deutschland kommt zunächst auf eine Warteliste. Sie wird erst dann ausgeführt, wenn irgendjemand durch eine gegenlaufende Überweisungen von Deutschland nach Griechenland das Geld für ihre Ausführung bereit gestellt hat.

Ich mag jetzt nicht ausrechnen, wie lange aktuell bei einem solchen System eine Überweisung von Griechenland nach Deutschland dauern würde. Wahrscheinlich zu lange für Kapitalflucht und wahrscheinlich zu lange für viele deutsche Exporteuere, die darum ihr Griechenlandgeschäft einstellen würden. Die Antriebswelle Target 2 wäre abgekoppelt, die negative Dynamik damit unterbrochen. Die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit der Eurozonenstaaten könnte keine weiteren Ungleichgewichte erzeugen.

In den Europeripheriestaaten herrschte allerdings Mangelwirtschaft und darum mag eine andere Alternative wünschenswerter sein: Man begrenzt das maximale Targetdefizit eines Staates etwa auf das Bruttoinlandsprodukt von drei Monaten. Darüber hinaus gehende Salden müssen in kurzer Frist durch Übertragung realer Sicherheiten (etwa Gold) ausgeglichen werden. Kann oder will eine nationale Zentralbank diese Sicherheiten nicht leisten, scheidet sie aus dem Targetsystem aus. Das heißt aber: Das Land scheidet aus der Währungsunion aus.


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14 Kommentare

  1. Nachdenker sagt

    Lieber Wirtschaftswurm,
    vielen Dank für die guten Erklärungen und den an sich praktischen Target2-Vorschlag. Die Realisierungschancen sind m. E. aber fast Null, denn auch diese Änderung müsste man ja in der EZB wieder gegen den Mehrheitswillen der Empfängerländer durchsetzen. Ob täglicher Saldoausgleich (wie früher) oder quartalsweise (Ihr Vorschlag) – warum sollten die Empfänger freiwillig zustimmen? Sie profitieren ja vom Anstieg der Target2-Salden durch Verzögerung ihrer Insolvenz. Die Reißlinie muss in jedem System immer der Gläubiger ziehen, wenn der Schuldner immer noch mehr will und seine Zinsen mit neuen Schulden bezahlt. Aus der Verantwortung kommen die Plus-Saldo-Länder im Targetsystem (also z. B. neben Deutschland auch die Niederlande, Österreich oder Luxemburg) nicht heraus. Irgendeiner muss den Streit darüber ernsthaft (und friedlich!) beginnen, es sei denn, man entscheidet sich bewusst (und hoffentlich basisdemokratisch!) für zwischenstaatliche Transfers. Einen Streit beginnen traut sich im Moment keiner der Verantwortlichen, weil jeder glaubt, dass er dann für europafeindlich gehalten wird und zum Sündenbock für die Folgen gemacht wird. Das schlimme ist nur, dass alles noch viel ärger wird, wenn man wartet, bis auch die Gläubigerländer irgendwann bei ihren Gläubigern (z. B. Rentenfonds, etc.) nicht mehr kreditwürdig sind. Und dann wird es spannend, ob dann nur noch die EZB europäische Anleihen kauft oder ob man dann endlich doch noch lernt, dass man sich in einem Markt ohne Kapitalkontrollen nicht aus alten Schulden mit neuen Schulden herausdrucken kann. Ich befürchte ersteres mit der Konsequenz, dass dann das Vertrauen in den Euro weitgehend erschüttert sein wird und die Inflation steigt. Nur eine international konzertierte Aktion aller Plus-Saldo-Länder im Target-System in den nächsten Monaten könnte verhindern, dass die Umstellung in eine dumpfe nationalistische Schlammschlacht ausufert. Von einer konzertierten Aktion ist aber nach meiner Ansicht bisher weit und breit im Euroraum nichts zu sehen. Darum bin ich derzeit eher pessimistisch.

  2. Wirtschaftswurm sagt

    Ja, ich muss dir leider zustimmen. Eine Reform des Targetsystems oder gar ein Ausschluss von Targetsündern ist im Moment politisch nicht durchsetzbar. Aber sollte sich die Krise wieder verschärfen, kann sich das sehr schnell ändern. Man erinnere sich, wie 2009 plötzlich die Verstaatlichung einer Bank möglich war, etwas, was ein paar Monate zuvor noch jedermann für unmöglich hielt.

  3. Pingback: Kleine Presseschau vom 21. März 2012 | Die Börsenblogger

  4. Bernd Klehn sagt

    Das Beispiel mit Überweisung ist irreführend. Es gibt Clearingsysteme, die trotz Überziehungsverbots alles schnell abwickeln, allerdings müssen in dem Fall die Teilnehmer eine positve Deckung des Clearingkontos vorweisen. Dieses gilt bei Target2 für alle Geschäftsbanken und fernerhin für Notenbanken, Polen, Dänemark, usw. die nicht dem Eurosystem angehören.

  5. Wirtschaftswurm sagt

    @Bernd Klehn,
    ich bin kein Bankexperte. Kannst du das näher erläutern?

  6. Bernd Klehn sagt

    In den meisten Clearingsystemen darf keiner ein Minus haben, so wie alle Geschäftsbanken und die nationalen Notenbanken der nicht Euromitglieder , Dänemark, Polen usw. usw. im Euro-Target2-Clearingsystem. Das Clearingkonto wird also zu erst mit einem positiven Sichtguthaben aufgestattet, dagegen werden dann die Überweisungen verrechent. Damit eine Überweisung ausgeführt werden kann, muss das Clearingkonto anschließend noch immer ein positives Sichtguthaben ausweisen. Die Schweizer Nationalbank hat das Clearing ihres Zenralbankgeldes zwei Privatfirmen übertragen und unterhält kein eingenes Clearingsystem.

  7. Alex Hummel sagt

    Hmm, interessante Vorschläge!

    Nur leider bedeuten Sie eben nicht etwa „eine Währungsunion ohne Targetsalden“ sondern schlicht die Abschaffung der Währungsunion. Denn, wären sie realisiert, hätten die Euros, die in unterschiedlichen Ländern auf Bankkonten liegen, unterschiedlichen Wert, wären also im Effekt unterschiedliche Währungen.

    Es gäbe allerdings einen anderen Vorschlag: die Übertragung der hiterlegten Sicherheiten zwischen den Notenbanken zum Ausgleich für die Target-Salden. Die Bundesbank würde in diesem Fall in ihren Büchern anstat des Target2-Postens z.B. griechische Anleihen führen, gegen die zuvor die griechische Zentralbank Zentralbankgeld verliehen hat. Ob jemand damit glücklicher wird, wage ich zu bezweifeln, aber zumindest gibt H.W. Sinn dann Ruhe, und alleine das wäre schon was Wert 🙂
    Übrigens: genau so funktioniert das ISA-Settlement in den USA, anders als H.W. Sinn behauptet.

  8. Wirtschaftswurm sagt

    @Alex Hummel,
    griechische Anleihen in den Büchern der Bundesbank sind wohl nicht die Lösung des Problems. Immerhin würde das die Abwicklung eines Euroaustritts Griechenlands etwas vereinfachen. Im Interesse der beteiligten Volkswirtschaften kommt man aber nicht darum herum, die Targetsalden zu begrenzen. Ist die Grenze überschritten, dann folgt entweder das von mir skizzierte „Gegenwertebuchsystem“ oder der Austritt aus der Eurozone.

  9. Alex Hummel sagt

    Wie ich schon gesagt habe, kommt jede Begrenzung der Target2-Salden der effektiven Auflösung der Währungunion gleich. Denn eine solche Begrenzung würde bedeuten, dass die Forderungen in EUR an ausländische Partner mit einem höheren Risikoaufschlag zu versehen sind, als die gleichen Forderungen an inländische Partner und zwar unabhängig von deren individuellen Bonität. Eine solches Regelwerk wäre keine Währungsunion mehr, sondern eine Art von „fixed exchange rate regime“ mit Kapitalverkehrskontrollen.

    Ob allerdings die Auflösung der Währungsunion im Interesse der beteiligten Volkswirtschaften wäre, darüber kann man sicherlich streiten.

  10. Wirtschaftswurm sagt

    @Alex Hummel,
    das ist richtig, sobald die Begrenzung effektiv wird. Bis zur Krise gab es aber nur kleine Target-2-Salden und niemand hätte sich die gegenwärtige Größenordnung vorzustellen vermocht. Wenn man aber weiterhin partout Griechenland in der Eurozone behalten will, sind Kapitalverkehrskontrollen die Alternative. Über der Grenze des Dreimonats-BIP liegen im Übrigen die Targetsalden von Portugal, Griechenland und Irland.

  11. Alex Hummel sagt

    Ich würde sagen, nicht nur sobald die Begrenzung effektiv wird, sondern sofort nachdem die Mögichkeit der Begrenzung institutionalisiert wird. Allein die Möglichkeit der Begrenzung, würde sofort dazu führen, dass die von mir oben beschriebenen Risikoaufschläge erscheinen und damit die Währungsunion effektiv beenden.

  12. Wirtschaftswurm sagt

    Risikoaufschläge gäbe es (vielleicht) für langfristige Anlagen in wirtschaftsschwachen Ländern. Im Rückblick wäre das aber nicht schlecht gewesen, wenn es schon vor 2008 einen solchen Risikoaufschlag für Griechenland gegeben hätte.

  13. Alex Hummel sagt

    Das sehe ich anders. Ein System mit Target2-Bergenzung wäre dem Free Banking in den USA im 19. Jahrhundert nicht unähnlich, wo es auch Auf-/Abschläge auf Banknoten gab je nach Vertrauensürdigkeit des Ausstellers. Allerdings wären nur die Notenbanken des Eurosystems berechtigt „Banknoten“ auszugeben.
    Stichwort Banknoten – sollte man die Begrenzung einführen, wäre noch das Problem des Bargelds zu lösen, denn das Zentralbankgeld kann ja nicht ur über Target2 von Land zu Land transferiert werden sondern auch auf altmodische Art mit Koffern voll von Bargeld. Um dem zu begegnen, wären die Grenzkontrollen fällig – mit EU-Regeln nicht gerade vereinbar.

  14. Pingback: Ein Kern der Eurokrise in einer Grafik: Ungleichgewichte in der Leistungsbilanz

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