Wirtschaftswurm-Blog

Target 2 – Eine Debatte über die Schieflage des Eurosystems

Die Target-2-Debatte ist in den deutschen Wirtschaftsblogs wieder aufgelebt. Der Zeit-Journalist Mark Schieritz befindet sich argumentativ gegenüber Hans-Werner Sinn in der Defensive.

Bereits im letzten Frühjahr tobte in der deutschen Wirtschaftsblogosphäre eine heftige Debatte um die Target-2-Salden der nationalen Notenbanken im Europäischen Zentralbankensystem. In zwei Artikeln habe ich damals versucht, ein paar Grundlagen des Target-2-Systems zu erklären.

Über die Targetkonten fließt (fast) der gesamte Zahlungsmittelverkehr zwischen den Eurostaaten. Wird z. B. Geld von Griechenland nach Deutschland überwiesen, etwa weil ein griechischer Mercedes-Importeur die ihm gelieferten Autos bezahlt, verringert sich auch das Targetkonto der griechischen Nationalbank, während sich das der Deutschen Bundesbank erhöht. Genau umgekehrt, wenn Geld von Deutschland nach Griechenland fließt. Letzteres kommt aber immer seltener vor, so dass das Targetkonto der griechischen Nationalbank tief im Minus ist, während die Bundesbank nach neuesten Zahlen ein Plus von 498,131 Milliarden € aufweist.

Dummerweise kann die Bundesbank über ihr Guthaben nicht frei verfügen. Es kann nur zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs innerhalb der Eurozone gebraucht werden. Hier gibt es aber keine Verpflichtung der anderen Euro-Zentralbanken, ihr Defizit irgendwann einmal abzubauen. Sie haben durch Target 2 einen unbegrenzten Dispokredit und das zu einem sagenhaft günstigen Zinssatz von aktuell 1 %.

Wer das Target-2-System soweit verstanden hat, kann kaum noch argumentieren, die dort angehäuften Beträge seien zum Nutzen Deutschlands. Mark Schieritz versucht es im Blog Herdentrieb trotzdem. Siehe seine Artikel „Hatte Hans-Werner Sinn doch recht?“ und „Target 2 – Versuch einer Bilanz„.

Schieritz verneint zunächst zusätzliche Risiken aus den Targetsalden. Die Risiken des EZB-Systems (für die die Bundesbank mithaftet) würden sich allein aus der Verteilung seiner Ausleihungen ergeben. Klar, wenn 9,6 % der Kredite der EZB nach Griechenland gehen (Stand Ende Januar), dann ist das weit oberhalb der 2,6 %, die Griechenlands BIP am BIP der Eurozone ausmacht. Folglich steht diesen Krediten kaum Wirtschaftskraft gegenüber. Das bedeutet Risiko.

Ein Target-2-Risiko kommt jedoch hinzu. Denn wenn Griechenland aus dem Euro austritt oder die griechische Nationalbank zahlungsunfähig wird, dann sind die gesamten 98 Milliarden € gefährdet, die die Nationalbank Griechenlands über Target 2 im Minus ist. In den Target-2-Salden wird das systemisches Risiko der Eurozone virulent; ein Risiko, das größer ist als die bloße Addition der einzelnen Kreditrisiken.

Schieritz tut ferner so, als ob die Ursachen für die Target-2-Defizite der Südländer (einschließlich Frankreichs) unklar sind. Sowohl ein Leistungsbilanzdefizit als auch Kapitalflucht würden als Ursache in Frage kommen. Schieritz vergisst aber: Ohne die Möglichkeit zu Target-2-Defiziten gäbe es aktuell überhaupt keine Möglichkeit für die Südländer, ihr Leistungsbilanzdefizit aufrecht zu erhalten. Denn private Kapitalgeber für seine Finanzierung finden sich nicht mehr. Insofern muss tatsächlich ihr gesamtes Leistungsbilanzdefizit über Target 2 finanziert werden.

Schieritz Rückzugslinie ist, darauf zu verweisen, dass die Leistungsbilanzdefizite der Südländer die Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands sind und bei uns zusätzliche Arbeitspätze schaffen. Lediglich bei absoluter Vollbeschäftigung in Deutschland würde der Exportüberschuss zulasten des heimischen Konsums gehen.

Das Problem an Schieritz‘ Argumentation ist die Definition von Vollbeschäftigung. In unserem Zusammenhang ist nicht erst eine sehr niedrige Arbeitslosenquote relevant, (die es in einigen Regionen Deutschlands aber gibt). Relevant ist, dass die Kapazitäten kurzfristig nicht erweitert werden können. Dies ist aber das Problem in vielen Branchen, sei es aufgrund von Rohstoffknappheit, aufgrund von Fachkräftemangel oder anderer Hindernisse.

Beschäftigung ist im Übrigen kein Selbstzweck. Was nützt sie, wenn der Erlös der Arbeit auf einem nicht-verwertbaren Target-2-Konto eingezahlt wird? Deutschlands Exportmodell versagt in der Krise wie vor der Krise darin, den Wohlstand für breite Bevölkerungskreise zu steigern.


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11 Kommentare

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  3. solidus sagt

    Die überproportionale Fixierung auf den Export ist schon häufiger als Problem benannt worden. Was schlägt der Wirtschaftswurm als Alternative vor, um den Wohlstand der Menschen in D. zu mehren?

    Es sagte mal jemand: wir haben unsere guten Autos exportiert und was haben wir dafür bekommen: Schrottpapiere. Ist wohl was dran, wenn man die Target2-Konten betrachtet.

  4. Wirtschaftswurm sagt

    Alternativen: Die Länder mit einem dauerhaften Leistungsbilanzdefizit müssen aus der Eurozone raus, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Die vielen, vielen Maßnahmen zur Exportförderung sollten zudem auf den Prüfstand. Die Löhne sollten steigen, das kurbelt dann auch die Binnennachfrage als Ersatz für weggebrochene Exporte an.

  5. solidus sagt

    Sofort einverstanden mit der Lösung, dass Länder mit dauerndem Leistungsbilanzdefizit raus aus der Eurozone gehen sollen.
    Das ist die einzig richtige Lösung, die sich anbietet.

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  8. memphy sagt

    Es ist leider so, dass weiter gewurschtelt wird obwohl man weiss wo der Fisch stinkt.
    Aber ist das Kalb hin soll die Kuh es auch sein.
    Vom wurschteln ist noch keiner reich geworden hingegen vom arbeiten und ideenreichtum schon.
    Aber Trittbrettfahren ist einfacher (in der Hitze kann man ja kein Hirn gebrauchen — machen wir über Mittag mal Pause9 als in die Hände spucken weil die Blöden werden es schon richten.

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