Wirtschaftswurm-Blog

Wachstum!?

Ein paar Gedanken zur Krisenlösung durch Wirtschaftswachstum

Wachstumskurve ohne Angabe der Dimensionen

Wachstumskurve

Ok, jetzt habe ich’s geschnallt. Wir haben kein Staatsschuldenproblem, kein Europroblem und noch nicht einmal ein Bankenproblem. Wir haben ein Wachstumsproblem, ein Wirtschaftswachstumsproblem. Man könnte sogar von einer Wirtschaftswachstumskrise sprechen, so groß ist das Problem mit dem Wirtschaftswachstum.

Das behaupten auch die Finanzmärkte. Dort spricht man auch von einer Wirtschaftswachstumskrise. Natürlich, die Finanzmärkte selbst können nicht sprechen, dafür haben sie ja die Marktanalytiker, die ihrerseits von Reportern der Neuen Züricher Zeitung befragt werden. Marktanalytiker, das ist ein angesehener Beruf mit einer langen Tradition. Schon die alten Römer kannten den Haruspex, einen Priester, der aus den Eingeweiden der Opfertiere den Willen der Götter lesen konnte.

Wie aber auch die antiken Orakel, so äußern sich auch die modernen vieldeutig und interpretationsbedürftig. Wachstum schön und gut, aber wie? Unvergessen, die Heerschar von Deutschen, die nach Studium eines Griechenland-Urlaubsprospekts und nach Analyse von Fotos griechischer Landschaften unter Azurhimmel den Griechen empfahlen, es mal mit Sonnenenergie zu versuchen.

So etwas ist nicht falsch und darum nennt man es stattdessen graue Theorie.

Andere wiederum empfehlen, mehr Geld unter die Leute zu verteilen. Mehr Geld, mehr Nachfrage, mehr Produktion. Wohltuendes Wachstum. Das sind die Leute, die schon während der letzten Wirtschaftswachstumskrise behaglich am heimischen Kamin gesessen haben, ihren Rotwein schlürften und sich alte Fotos aus der 68er-Zeit anschauten. Leute, die sich die ganze Zeit nichts sehnlicher wünschen, als dass es allen so gut geht wie ihnen selbst.

Nachhaltiges Wachstum ist keine so einfache Geschichte. Eigentlich gibt’s nur zwei Möglichkeiten: mehr Arbeiten oder technischen Fortschritt. Möglichkeit 1 (mehr Arbeiten) ist für Volkswirtschaften mit schrumpfender Bevölkerung (also für fast ganz Europa) schwierig zu realisieren. Möglichkeit 2 ist immer ein Glücksspiel. Man mag gute Rahmenbedingungen schaffen (z. B. gute Universitäten), man muss trotzdem warten, bangen und hoffen. Es ist keine kurzfristige Lösung.

Fazit: Es ist einfacher, das Staatsschuldenproblem, das Europroblem und das Bankenproblem zu lösen, als das Wachstumsproblem.


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17 Kommentare

  1. Wer als Ursache der weltweiten Krise den Mangel an Wirtschaftswachstum nennt, hat das eigentliche Problem nicht begriffen: das Problem des Zinses.
    Zum Wachstum, welches dauerhaft nur linear ist, benötigt man Geld.
    Geld entsteht aber nur durch die Aufnahme von Kredit. Die weltweite Verschuldung hat aber eine Exponentialkurve, dem eine exponentielle Kurve an Forderungen , sprich Zinsforderungen gegegüber stehen. Das ist eine Diskrepanz die mit Wachstum nicht gelöst werden kann!

  2. Stephan sagt

    Andere wiederum empfehlen, mehr Geld unter die Leute zu verteilen. Mehr Geld, mehr Nachfrage, mehr Produktion. Wohltuendes Wachstum. Das sind die Leute, die schon während der letzten Wirtschaftswachstumskrise behaglich am heimischen Kamin gesessen haben, ihren Rotwein schlürften und sich alte Fotos aus der 68er-Zeit anschauten. Leute, die sich die ganze Zeit nichts sehnlicher wünschen, als dass es allen so gut geht wie ihnen selbst.

    Da bin ja ich! Blöd nur, dass ich keine 68-er Fotos von mir habe und viel lieber Weißwein oder Bier trinke. In einem stimme ich dir aber zu: Ich wünsche mir tatsächlich, dass es allen so gut geht wir mir. Irgendwie konnte ich mich noch nicht dazu durchringen den inneren Misanthropen in mir zu entdecken. Dir scheint das ja gelungen zu sein?

  3. Wirtschaftswurm sagt

    „Dir scheint das ja gelungen zu sein?“ – Nein, ich bin halt nur etwas schlauer.

  4. Stephan sagt

    >“Nein, ich bin halt nur etwas schlauer.“ Das klingt total überzeugend ;~) Hut ab.

  5. Das mit dem Wachstum ist so eine Sache, in der Tat.
    Aber was Du als technologischen Fortschritt (Möglichkeit 2) beschrieben hast, ist eher der Ausbau des Humankapitals in der Produktion. Technologischer Fortschritt verbessert einfach nur die Produktivität bei einem gegebenen Kapitalstock. Das mit den fortschrittsfeindlichen Parteien in Deutschland allerdings durchzusetzen wird das eigentliche Problem.
    Wer in jedem Fortschritt entweder den Untergang des Abendlandes, den Ausverkauf der Menschenwürde oder die Umweltapokalypse sieht und Fortschritt blockiert wo es nur geht, der darf sich nicht wundern, wenn es langsam aber sicher bergab geht.
    Es sei mir an dieser Stelle gestattet, Herbert Grönemeyer zu zitieren: „Genug ist zuwenig – oder es wird so wie es war. Stillstand ist der Tod, geh voran, bleibt alles anders.“ Wirtschaftswachstum ist kein Konzept von gestern, wie einige meiner Vorkommentatoren vorschlagen, sondern imperativ für Wohlstand, Fortschritt und gesellschaftliche Gerechtigkeit.
    In Deiner Analyse, dass die Schuldenkrise kurzfristig gelöst werden muss und wir da nicht „herauswachsen“ können, stimme ich Dir allerdings zu. Nichts desto weniger ist robustes (und nachhaltiges) Wirtschaftswachstum einer der zentralen Punkte für die mittel- und langfristige Behandlung der Krisenfolgen.

  6. Wirtschaftswurm sagt

    „Aber was Du als technologischen Fortschritt (Möglichkeit 2) beschrieben hast, ist eher der Ausbau des Humankapitals in der Produktion. Technologischer Fortschritt verbessert einfach nur die Produktivität bei einem gegebenen Kapitalstock.“
    Ich war da wohl etwas ungenau. Man müsste unterscheiden zwischen Verbesserung des (individuellen) Humankapitals, Verbesserungen des Sachkapitals und Verbesserungen der Organisation. Meistens geht aber das eine ohne das andere nicht, was in der traditionellen Wachstumstheorie gerne ausgeblendet wird.
    „Wirtschaftswachstum ist kein Konzept von gestern, wie einige meiner Vorkommentatoren vorschlagen, sondern imperativ für Wohlstand, Fortschritt und gesellschaftliche Gerechtigkeit.“ Dann sehe ich allerdings schwarz für die nächste Zukunft. Ich hoffe, dass du Unrecht hast.

  7. „Man müsste unterscheiden zwischen Verbesserung des (individuellen) Humankapitals, Verbesserungen des Sachkapitals und Verbesserungen der Organisation. Meistens geht aber das eine ohne das andere nicht, was in der traditionellen Wachstumstheorie gerne ausgeblendet wird.“
    Stimmt 🙂

    „Ich hoffe, dass du Unrecht hast.“
    Was meinst Du damit? Dass Wachstum nicht imperativ für Wohlstand, Fortschritt und gesellschaftliche Gerechtigkeit ist? Weil die Wachstumsaussichten so trübe sind?
    Da liegt ja genau die Krux. Kurzfristig gibt’s eben keine Wachstumslösung, sondern nur Bilanubereinigung, bestenfalls einigermaßen abgeschirmt durch EZB und EFSF. Aber diese Bilanzbereinigung und die politischen Reformen werden ziemlich wahrscheinlich eine expansive und wachstumsfördernde Wirkung haben. Blöderweise aber erst in 5-10 Jahren.

  8. Ohje, mit dieser Idee von Herrn Spehl habe ich so meine Probleme. Das ist ordnungspolitisch m.E. höchst fragwürdig.
    In Deutschland hat jeder völlig unabhängig von seinem Reichtum das gleiche Stimmrecht. Und damit ist jeder gleich verantwortlich für den Schuldenberg, den wir haben. Wir alle haben die Politiker (egal welche Partei) gewählt, die die Schulden angehäuft haben. Also müssen wir auch alle unseren Beitrag leisten. Ich finde daher den Ansatz der Wirtschaftsweisen, dass jeder diese Tilgungssteuer zu bezahlen hat – am besten aufs Einkommen – deutlich gerechter.
    Das eigentliche Problem sind aber auch nicht zu geringe Wachstumsraten des BIP sondern zu hohe Wachstumsraten der Verschuldung, was die intertemporale Budgetbeschränkung verletzt. Da kann man mit zwei Dingen gegen vorgehen: Schulden beschränken (Schuldenbremse) und die Politik zwingen die IBB zu internalisieren, um die Zeitinkonsistenz aufzuheben, z.B. durch einen Plan jeden Euro Neuverschuldung mit einer Steuererhöhung zu erkaufen.

  9. In der Tat Wachstum ist wichtig. Es stellt sich aber die Frage, wo es herkommt. So hatten die USA jahrelang ein künstliches Wachstum geschaffen. Es war eine Traumwelt.

    Der Finanzsektor wuchs wie verrückt. Dank des Immobilienbooms. 40% der Gewinne aus dem S&P-500 speisten sich auf einmal aus dem Finanzsektor. Es war alles künstlich geschaffen worden. Papiere (CDOs) wurden von Banken für zig Milliarden gehandelt, obwohl die keinen Wert hatten. Die Preise für Subprime-Häuser gingen durch die Decke.
    Eine Blase entstand, auch im Bruttosozialprodukt. Daher ist immer aufzupassen, dass das Wachstum NACHHALTIG entsteht. Und keine Blasen! Und nicht die Zerstörung der Umwelt (Minenboom) oder Gesellschaft (Subprime) billigend in Kauf genommen wird.

  10. Vielleicht hilft eine kleine Unterscheidung weiter: Wachstum eines Landes vs. Wachstum pro Kopf. Damit die Politiker wichtig tun können in der Welt, muss das ganze Land wachsen; damit es den Menschen gut geht, ist das Wachstum pro Kopf wichtiger. Das geht auch bei schrumpfender Bevölkerung, wie das viel geschmähte Japan zeigt. Außerdem ist technischer Fortschritt kein Glücksspiel, sondern recht verlässlich, wenn man ihn nicht politisch für sein Land be- und verhindert. Dann gibt es noch eine dritte Wachstumsquelle, nämlich den Kapitalstock (an Real- und Humankapital). Schließlich ist vernünftige Nachfragepolitik keine Strategie für langfristiges Wachstum, sondern zur Vermeidung von kurzfristigem Schrumpfen in der Krise gedacht, wonach man sonst erst wieder lange wachsen muss, um das vorherige Niveau zu erreichen.

  11. Pingback: Anmerkungen zum Wirtschaftswachstum | Wirtschaftsphilosoph

  12. Wirtschaftswurm sagt

    @Wirtschaftsphilosoph,
    ein Wachstum pro Kopf bei schrumpfender Bevölkerung mag vielleicht (!) dafür sorgen, dass es den Menschen besser geht. Um aber bei der Schuldenkrise zumindest zu helfen, wäre ein Wachstum der Volkswirtschaften insgesamt notwendig.
    Wachstum des Kapitalstocks ist mMn nicht von technischem (inklusive organisatorischem) Fortschritt zu trennen. Darum ist das keine eigene, dritte Wachstumsquelle.
    Ich glaube, auch viele Ökonomen überschätzen das tatsächliche Wirtschaftswachstum. Was schätzen Sie, wie groß das deutsche Wirtschaftswachstum in den letzten 10 Jahren war? Es waren nur 0,9 % im Jahresdurchschnitt!

  13. Warum soll Wachstum pro Kopf bei schrumpfender Bevölkerung nicht dafür sorgen, dass es den Menschen besser geht? Man könnte höchstens fragen, ob eine ungünstige demographische Entwicklung, z. B. mehr Pflegefälle und weniger Pflegekräfte, das Wachstum pro Kopf verhindert, welches ansonsten wegen steigender Grenzproduktivität zu erwarten ist. Allerdings stimme ich zu, dass sich Überschuldung so schwer lösen lässt.

    Analytisch lassen sich Kapitalstockwachstum und technischer Fortschritt leicht trennen. Schafft zu einer Maschine noch einmal die gleiche dazu an, verdoppelte sich der Kapitalstock, kann die nächste Maschine doppelt so viel, ist es technischer Fortschritt. Dieser ist natürlich an Kapital (oder Arbeit oder Boden) gebunden, aber nicht dasselbe.

    Schließlich kenne ich keinen Ökonomen, der das deutsche Wachstum überschätzen würde. Das tun eher Politiker, wenn sie das hohe Lied auf den Euro und die angeblich vielen Vorteile durch ihn singen.

  14. Wirtschaftswurm sagt

    „Warum soll Wachstum pro Kopf bei schrumpfender Bevölkerung nicht dafür sorgen, dass es den Menschen besser geht?“ – Kurze Antwort: weil auch die Verteilung eine Rolle spielt. Wir hatten in D in den letzten Jahren trotz Wachstum stagnierende Reallöhne.

  15. Wir hatten in D in den letzten Jahren trotz Wachstum stagnierende Reallöhne.

    Das „Problem“ wäre nicht entstanden, hätte man Leute, die zu gering bezahlten Jobs Arbeit fanden, in der Arbeitslosigkeit belassen.

  16. Pingback: Zwischenrufe zur Bundestagsdebatte über das zweite Griechenland-Hilfspaket | Wirtschaftswurm

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