Wirtschaftswurm-Blog

Ich kann dieses Gelaber vom Marktversagen nicht mehr hören

Denn genau die Leute reden vom Marktversagen und rechtfertigen damit riskante Markteingriffe, die in der Vergangenheit noch mehr versagt haben, als die Märkte selbst. Beispiel: Die EZB und ihre Aufkäufe südeuropäischer Staatsanleihen.

Natürlich gibt es Marktversagen, sogar häufig und mit fatalen Konsequenzen. Wir leben in einer unvollkommenen Welt, in unvollkommenen Gesellschaften und mit unvollkommenen Märkten. Das ist eine Banalität, selbst für Wirtschaftswissenschaftler.

Die Volkswirtschaftslehre verwendet den Begriff des Marktversagens seit 1958. Und seitdem hat man immer mehr Fälle gefunden, in denen der Markt eine schlechte Arbeit beim Zusammenführen von Angebot und Nachfrage liefert. Seit Mitte der 90er Jahre wird dabei auch verstärkt über die Finanzmärkte diskutiert. Unter dem Titel „Herd Behaviors, Bubbles and Crashes“ entwickelte damals Thomas Lux im „Economic Journal“ die Theorie von der chronischen Instabilität der Finanzmärkte. Anleger folgen demnach häufig einer Art Herdentrieb. Der einzelne richte sich nach der Masse und alle zusammen verursachen so abwechselnd Spekulationsblasen und Börsenpanik.

Bis heute unter Volkswirten umstritten ist, wie wichtig das Herdenverhalten auf den Finanzmärkten ist. Der Mainstream hielt es lange Zeit für vernachlässigbar, die Beobachtung der letzten 15 Jahre zeigte aber das Gegenteil. Die Frage ist nun, welche Konsequenz man daraus zieht.

Es gibt es zwei vernünftige Alternativen, wenn man sieht, dass ein Markt schlecht funktioniert: Entweder man verbessert den Markt durch intelligente Regulierung oder aber man schafft ihn gleich ab und ersetzt ihn durch etwas besseres (sofern man das hat). In diesem Sinne habe ich mich z. B. im Falle des EU-Emissionshandels durchaus hier im Blog für eine Abschaffung ausgesprochen und für einen Ersatz durch eine CO2-Steuer.

Was aber nicht geht, ist, punktuell und regellos in den Markt einzugreifen, wie es gerade passt. Dadurch wird in der Regel nur das Marktversagen durch ein Staatsversagen ersetzt. Und damit bin ich bei den Käufen von Anleihen südeuropäischer Pleitestaaten durch die EZB.

Begründet werden die Aufkäufe (jüngst auch von Peter Bofinger auf SPON) mit einer angeblich nicht gerechtfertigten Marktpanik – also mit Marktversagen. Wir wissen nun, dass sich die Finanzmärkten in den letzten Jahren tatsächlich häufig geirrt haben. Ein Jahrzehnt lang haben sie Griechen und Portugiesen erlaubt, sich ohne nennenswerten Risikoaufschlag zu verschulden. Gleichzeitig haben sie in Spanien leerstehende Betonwüsten finanziert. Wie unsinnig das war, wissen heute alle. Aber das Wesen von Spekulationsblasen und Marktpanik ist, dass man sie immer erst im Nachhinein gesichert feststellen kann. Solange sie noch aktiv sind, bleibt es immer ein Streitpunkt, ob die Kurse noch angemessen sind.

Eurotower in Frankfurt/ Main, Sitz der EZB

Eurotower in Frankfurt/ Main, Sitz der EZB

Und eines ist gewiss: Die EZB weiß auch nicht mehr. Sie hat in ihrem Frankfurter Euroturm keine Wahrsagerkugel. Wo blieben denn im letzten Jahrzehnt ihre Warnungen an die Griechen, sich weniger zu verschulden? Wann haben die Eurobanker den spanischen Bauboom als irrsinnig gebrandmarkt? Welche Gegenmaßnahmen wurden von der EZB ergriffen?

Die Märkte mögen schlecht funktioniert haben, aber die Eurobanker waren nie besser. Ganz im Gegenteil. Während selbst Wirtschaftsblogger wie ich bereits einen Schuldenschnitt für Griechenland für unausweichlich hielten, hat die EZB diese Tatsache vehement ignoriert. Und darum kann ich dieses Gelaber vom Marktversagen nicht mehr hören. Denn es wird genau von den Leuten veranstaltet, die noch mehr versagt haben, als die Märkte selbst.


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11 Kommentare

  1. Jetzt lassen wir aber mal die Kirche im Dorf. Du hörst dich schon an wie ein Jens Weidmann Klon. Was soll denn die EZB machen? Eine unkontrollierte Implosion der Eurozone herbeiführen? Nur damit die Prinzipien eines Ignoramus Weidmann nicht verletzt werden. Zur Beschreibung der momentanen Lage der Eurozone gibt es ein einfaches Wort: Politikversagen.

  2. Wirtschaftswurm sagt

    Es geht nicht um Dogmen und Prinzipien. Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass niemand mehr Berlusconi Geld leihen will. Das ist keine Folge von Marktversagen, sondern wie du selbst schreibst: von Politikversagen. Und zwar chronisches Politikversagen, dass zu Vertrauensverlust geführt hat. Was soll die EZB da machen? Sie hat nicht die Panzer, um in Rom zu putschen.

  3. Die EZB macht was Pragmatiker in einer solchen verzwickten Situation halt machen: sie kauft Zeit und Hoffnung. Wobei ich mir um das Balance Sheet der EZB überhaupt keine Sorgen mache. Aber nehmen wir mal an die EZB legt ihr Mandat sehr eng aus und folgt dem Rat von Weidmann. Sie statuiert ein Exempel. Ich bin überzeugt der Euro würde in einem Monat kollabieren.

    Für mich wäre das eine politische Entscheidung der EZB die eindeutig ihr Mandat überschreitet. Manchmal habe ich den Eindruck dieses „jetzt watschn wir mal die EZB ab“ vieler deutschen Politiker/Ökonomen ist nur eine Ausrede um nicht selbst einmal Tacheles reden zu müssen. Später können sie dann die Hände hochhalten und sagen: Wir waren es nicht! Das war die EZB!

  4. Wirtschaftswurm sagt

    „Wobei ich mir um das Balance Sheet der EZB überhaupt keine Sorgen mache.“
    @Stephan,
    ich ehrlich gesagt schon. Da spielen ja nicht nur die Anleihekäufe eine Rolle, sondern auch die Target-2-Salden. Und die Gefahren die an die Wand gemalt werden, wenn mal ein Staat pleitegeht, halte ich zum Teil für Panikmache. Panikmache im Interesse der Finanzwelt.

  5. Lieber Wirtschaftswurm,

    Genau – Der Markt versagt nicht. Der Markt spielt auch jetzt noch immer nach den Regeln von Angebot, Nachfrage und Risiko. In Ihrem Beispiel mit Italien bringen Sie es auf den Punkt. Der Markt will Italien kein Geld mehr leihen. Und jene Marktteilnehmer die es dennoch tun, gehen eben ein höheres Risiko ein. So funktioniert der Markt.

    Es eben eine Frage der Betrachtung. Vor 5 Jahren war der Markt noch das Allheilmittel. Der freie Markt schaffte damals Wohlstand und Sicherheit. Und heute habe er versagt, weil ein Zyklus des Abschwungs und der Bereinigung erfolgt, der der Politik gar nicht schmeckt.

    Danke für Ihr gründlich verdaute Darstellung der Realität!

  6. Wirtschaftswurm sagt

    Beim Gerede vom Marktversagen geht es nur darum, einen Sündenbock zu finden. Egghat hat übrigens gerade heute in seinem Blog die neuesten Summen zum Anleihenkaufprogramm der EZB dargestellt. Mittlerweile hat die EZB 152,5 Milliarden dafür ausgegeben. Und nach der heutigen Abstufung Italiens werden sie wohl noch einmal eine Schüppe drauflegen.

  7. WhatIsMoney sagt

    Tatsache ist doch, dass die EZB zwar über ihre Entscheidungen informiert, aber nicht ihre Entscheidungen begründet. Auch dieses Mal informiert die EZB nur darüber, dass sie Anleihen bestimmter Staaten kauft, jedoch nicht warum, wieso und weshalb.

    Ich finde zum Beispiel den Artikel von Jens Weidmann (als EZB-Ratsmitglied) aussagekräftiger als den Artikel von Peter Bofinger (als Professor):

    http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,786847,00.html

    Die EZB geht ein enormes Risiko ein und EZB-Ratsmitglieder wie Weidmann und Stark weisen zu Recht darauf hin. Wenn man sich im heutigem Mischgeld-Bankensystem auskennt, erkennt man auch, dass ein Anleihenkauf der EZB eine absolute Prinzipienverletzung darstellt.

    Warum dann die Mehrheit der EZB-Ratsmitglieder trotzdem dazu bereit ist, gegen dieses Prinzip zu verstoßen, ist mir ein Rätsel. Ich vermute mal, die Risiken es nicht zu tun, wären noch höher.

    Worin genau diese Risiken liegen, kann man nur erahnen, aber der EZB-Rat verstoßen bestimmt nicht gegen dieses Grundprinzip, alleine aus einer belanglosen Marktversagensdiskussion.

  8. Pingback: Kleine Presseschau vom 20. September 2011 | Die Börsenblogger

  9. Wirtschaftswurm sagt

    @WhatIsMoney, ok, zumindest sind wir uns einig, dass das Marktversagensargument nichts taugt. Im Weidmann-Artikel ist dann von einem „allgemeinen Notstand“ die Rede. Das wirft natürlich mehr Fragen auf, als es beantwortet.
    Ich glaube nicht an eine „unkontrollierte Implosion“ (@Stephan) der Eurozone nur weil vielleicht zwei Peripheriestaaten pleitegehen. Natürlich wird es Belastungen geben und ein paar Leute werden auch sehr viel Geld verlieren. Ja und?

  10. Wirtschaftswurm sagt

    Um mich da zu präzisieren: Ich meine, dass eine unkontrollierte Implosion nicht zwangsläufig ist, wenn die Politik geeignete Steuerungsinstrumente einsetzt. So muss man z.B. unterkapitalisierte Banken für eine gewisse Zeit verstaatlichen.

  11. WhatIsMoney sagt

    Unterkapitalisierte Banken für eine gewisse Zeit zu verstaatlichen ist eine gute Idee. Wird sich zwar im ganzen Euroland nicht umsetzen lassen, aber zumindestens ist Griechenland davon betroffen.

    Vom zweiten Hilfspaket in Höhe von 109 Millarden werden mindestens 20 Millarden dazu verwendet um griechische Banken zu verstaatlichen.

    Interessant ist das geplante Budget von Griechenland. Die Daten sind zwar aus November 2010 und daher wohl schon überholt, aber sicher besser als die Wirklichkeit:

    Einnahmen: 60 Mrd.

    Ausgaben: 80 Mrd.
    davon Schuldendienst: 16 Mrd.

    Schulden (Juni 2011): 353 Mrd.

    Quelle:
    http://www.minfin.gr/content-api/f/binaryChannel/minfin/datastore/b1/62/3a/b1623a6c1b61846f144e5337988f0d69daa6ea00/application/pdf/20101118_budget+2011_EN.pdf

    Griechenland hat realistisch gar keine Chance mehr! Ich finde es aber in Ordnung Griechenland in den nächsten Wochen und Monaten zu Reformen zu „nötigen“, bevor ein „geordnetet“ Schuldennachlass stattfindet.

    Aus dem Bauch heraus würde ich zwar eine schnellere und saubere Lösung vorziehen. Fairerweise muss man aber sagen, dass dies nie möglich wäre.

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