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Was soll eigentlich dieser Unsinn mit den TTIP-Schiedsgerichten?

TTIP_graffiti_in_Malmö

Die Argumente, warum sich die EU-Staaten TTIP-Schiedsgerichten unterwerfen sollten, sind nicht stichhaltig. Es gibt stattdessen gute Argumente dagegen.

Freihandel ist eigentlich eine gute Sache. Vom Prinzip ist daher nichts gegen ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA zu sagen, wie es zur Zeit unter dem Kürzel TTIP verhandelt wird.

Die USA ist gegenwärtig für die EU der wichtigste Handelspartner, wie auch umgekehrt die EU für die USA der wichtigste Handelspartner ist. Das Handelsvolumen zwischen beiden Blöcken machte 2012 14,3% des Außenhandels der EU-27 bzw. 16,1% des Außenhandels der USA aus. Anders als in der Diskussion suggeriert wird, ist dies allerdings eher ein Zeichen dafür, dass die Vorteile des Freihandels gegenwärtig schon zu einem großen Teil realisiert werden, dass es also bei TTIP nur noch um Detailoptimierung geht. Zu dieser Einschätzung passt die Prognose, dass TTIP lediglich einen Wachstumseffekt von 0,05% jährlich über einen Zeitraum von 10-20 Jahren haben wird.

Umso mehr muss allerdings der Preis, den wir für TTIP zahlen sollen, in das Zentrum der Diskussion rücken. Zu diesem Preis gehören nicht zuletzt die TTIP-Schiedsgerichte. Die offizielle englische Bezeichnung dazu ist ISDS: Investor State Dispute Settlement. Ausländische Investoren sollen die Möglichkeit bekommen, ein Schiedsgericht anzurufen, wenn sie der Meinung sind, dass staatliche Eingriffe den Wert ihrer Investition schmälern.

Ich habe lange gesucht, aber wirklich kein einziges Argument gefunden, warum ein ISDS für die EU-Staaten positiv sein soll.

  • Laut Joseph Stiglitz, immerhin Wirtschaftsnobelpreisträger, zeigen Erfahrungen aus Südafrika, dass das Vorhandensein eines ISDS die ausländischen Direktinvestitionen nicht steigert.
  • Alle EU-Staaten sind ohnehin Rechtsstaaten, in der jedem, auch ausländischen Konzernen, der Klageweg gegen den Staat vor ordentlichen Gerichten offensteht. Zwar schmälern überlange Gerichtsverfahren auch in Deutschland den Wert des Rechtsstaates. Die Antwort kann aber doch nur sein, das Rechtssystem für alle auszubauen, anstatt ausländische Investoren durch Extra-Schiedsgerichte zu privilegieren.

Es gibt allerdings eine ganze Menge von Argumenten gegen ein ISDS. Die wichtigsten:

  • Die Schiedsgerichte werden von Konzernen missbraucht, indem sie ausländische Töchter vorschicken, gegen den eigenen Staat zu klagen. Dies nennt man Treaty Shopping. Es ist durch Fallstudien belegt.
  • ISDS-Abkommen wimmeln nur so von Gummiparagrafen. So sind unbestimmte Rechtsbegriffe wie „fair and equitable treatment“ üblich. Damit tragen die Abkommen eher zur Rechtsunsicherheit als zur Rechtssicherheit bei.
  • Vor allem verunsichern ISDS-Abkommen mit ihren Generalklauseln den demokratischen Gesetzgeber. Über jedes Gesetzgebungsverfahren, über jeden neuen Regulierungsversuch hängt nun das Damoklesschwert, irgendein ausländischer Investor könnte dagegen vor einem Schiedsgericht klagen und Schadensersatz fordern. Viele Kritiker sehen in der Behinderung des demokratischen Gesetzgebers sogar den Hauptzweck der ISDS-Abkommen.

Angesichts dieser Sachlage ist es völlig unverständlich, dass die Idee von TTIP-Schiedsgerichten nicht schon lange beerdigt wurde. Selbst Liberale, sofern sie nicht einem einseitigen und darum dauerhaft nicht funktionierenden Wirtschaftsliberalismus anhängen, können einem ISDS-Abkommen nicht zustimmen.

Geh nicht ohne Gruß, empfiehl bitte den Beitrag weiter!

Foto (von Johan Jönsson): TTIP-Graffiti in Malmö


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10 Kommentare

  1. Stefan Rapp sagt

    Denkbar wäre doch dann auch das man als Ventillösung eben bestimmte Gesetze verhandelt die die Länderparlamente dann vor Einführung von TTIPP in nationales Recht, wenn nicht sowiso schon vorhanden, umsetzen. Dann könnte man sich die Schidsgerichte sparen.

  2. TTIP, CETA, TISA haben da noch gans andere Haken. Wenn ein Konzern GMO – Lebensmittel gegen deutsches Recht anbauen will, aber nicht darf, kann er Deutschland um den entgangenen Gewinn den er gemacht hätte, verklagen, Fracking analog. Hinterher muß das Gesetz dann natürlich geändert werden, weil es gegen den Vertrag verstöst. Nicht mal ein Himweis auf Gen-Food darf angebracht werden. Es könnte Käufer abschrecken. Wenn ein Konzern die gesetzliche Krankenversi9cherung kaufen will, kann er Deutschland verklagen, wegen entgangenem Gewinn auf Grund ordentlicher Preiserhöhungen. Hinterher muß die Krankenversicherung verkauft werden. Das selbe bei allen anderen Staatlichen Betrieben. Die „überzogenen“ Sicherheitsmaßmahmen Bei AKWs schmälern den Gewinn. Deutschland muß also zahlen. Die Zulassung von neuen Medikamenten ist zu kompliziert und dauert zu lange. Deutschland muß wieder zahlen und die Gesetze ändern Die Gesetzesvorlagen kommen dann pragmatisch von dem betreffenden Kunzern. Das Banken weiter dereguliert werden ist wohl selbsverständlich. Unsere Umwelt wird nachhaltig zerstört und unsere Sozialsystheme abgeschaft. Da die astronomischen Gehälter der „Elite“ erarbeitet werden müssen wird der Lebensstandard kräftig sinken.
    TTIP ist ein Regierungsputsch der Kozerne. Das endgültige Ende der Demolratie.

  3. herbert ax sagt

    Was der Unsinn soll? Es ist wie auch die ganze Gesetzgebung in den Zivilisierten Ländern ein Instrument Einkommen zu generieren. Bei TTIP, durch Ausschaltung der Exekutive wird Einkommen mit noch weniger Aufwand herbeigezaubert. Sind die Gesetze nicht durch die überproportional dort sitzenden Juristen und Bürokraten in den Parlamenten so gestaltet das eben immer ein Gestaltungsspielraum bleibt , das ist Absicht , denn so blöd kann auch ein Jurist nicht sein das man das nicht erkennen will oder kann. Ich sage immer als Beispiel: eine durgezogene Linie (oder auch eine rote Ampel) zu überfahren und dadurch einen Unfall zu verursachen , da müsste dann die Schuldfrage klipp und klar sein. Man brauchte hier gar kein großen Aufwand bei einem eventuell angestrengten Gerichtsverfahren. Das Verfahrenskosten könnte sich der Verursacher direkt sparen. So könnte man viele Sachen regeln, aber hier würde kein Jurist etwas daran verdienen. Denn wenn ich mich beim Nagel einklopfen mit dem Hammer auf den Daumen schlage kann ich ja auch nicht den Hammer beschuldigen. Aber bei Juristen ist die Rechtsverdreherei ja Tagesgeschäft.

  4. @Stefan Rapp, neue Gesetze wegen TTIP werden eh kommen.
    @Bobo, wegen bereits bestehender Gesetze und Regulierungen wird man wohl nicht klagen können.

  5. @ Fx

    Woher kommt eigentlich der Unsinn, Freihandel wäre grundsätzlich etwas Gutes?

    Freihandel bedeutet, nicht nach Herkunft zu diskriminieren. Wer nicht gerade eine völkische Gesinnung vertritt, kann nicht gegen Freihandel sein.

  6. @ Arne Kuster

    Bedarf für Schiedsgerichte gibt es natürlich durchaus.

    Insbesondere amerikanische Behörden sind bekannt dafür, heimische Anbieter mit allerlei Tricks bei allen Aufträgen zu bevorteilen, die auch nur im Entferntesten irgendwas mit nationaler Sicherheit zu tun haben. WTO-Regeln haben daran bislang nicht viel ändern können. Auch europäische Regierungen sind nicht schlecht darin, sich versteckte Handelsbarrieren einfallen zu lassen.

    Ideal wäre natürlich ein zwischenstaatliches neutrales Gerichtwesen, das solche Fälle rechtsstaatlich bearbeitet. TTIP-Schiedsgerichte könnten ein erster Schritt in eine richtige Richtung sein.

  7. Baal McDohl sagt

    Man muss sich nur ein Beispiel ansehen: das deutsche Leistungsschutzrecht. Diverse Presseverleger haben ein Gesetz herbeilobbiiert um an den Geldtöpfen von Google zu partizipieren. Sehr tolle Leistung von deutschen Gesetzgeber 😉 Gegen so einen staatlich-irrsinnigen Müll sollen die Schiedsgerichte helfen. Auch „europäische Rechtsstaaten“ sind nicht von Korruption oder gezinkten Auschreibungen befreit. Zumal vor einem ordentlichen Gericht nur nach der geltenden Rechtslage geurteilt wird, die ja willkürlich vom jeweiligen Staat festgelegt wird. Es ist nicxht so, dass es nur Argumente dagegen gibt. Im übrigen finde ich es sehr begrüssenswert, wenn der Gesetzgeber zur Abwechslung mal vor der Verabschiedung von Gesetzten sich über die Risiken und Nebenwirkungen informiert.

  8. @BaalMcDohl,
    ich halte das LSR auch für unsinnig. Aber das ist doch eine politische Entscheidung und sollte auch eine solche bleiben. Nach welchem Kriterium sollte denn ein Schiedsgericht über das LSR entscheiden? Mir fällt da keines ein.

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