Bei der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht zum Thema ESM ist der Eindruck entstanden, sowohl ein sofortiges Inkrafttreten als auch eine Verzögerung des Rettungsschirms würden unendliche Risiken bergen; so zumindest der Blogger Max Steinbeis. Etwas genauer kann und sollte das Gericht die jeweiligen Risiken allerdings schon abschätzen.
In seinem lesenswerten Bericht über die Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht zum Thema ESM fasst der Blogger Max Steinbeis seinen Eindruck so zusammen:
Hier dagegen lassen wir uns auf ins Unendliche gehene (sic) Risiken ein, sowohl wenn wir den ESM installieren als auch wenn wir es lassen.
Nun, ich selbst war nicht in Karlsruhe und möglicherweise ist tatsächlich dieser Eindruck während der Anhörung entstanden. Dann allerdings war die Anhörung ziemlich nutzlos! Mit dem Unendlichen kann man ja nicht kalkulieren. Versuchen wir es im Folgenden eine Nummer kleiner.
Konkret geht es für die Verfassungsrichter um die Frage, ob ein Inkrafttreten des ESM jetzt verantwortbar ist, auch wenn später möglicherweise die Verfassungswidrigkeit des Rettungsschirms festgestellt werden muss. Und umgekehrt muss das Richterkollegium entscheiden, ob eine Verzögerung des ESM verantwortbar ist, auch wenn später vielleicht festgestellt wird, dass der ESM keine Verfassungsprobleme birgt. Zu untersuchen sind dabei jeweils die juristischen wie die wirtschaftlichen Konsequenzen.
Juristisch ist klar, dass der ESM nicht kündbar ist. Tritt er also einmal in Kraft, ist ein späteres Verdikt des Verfassungsgerichts wirkungslos. Ist der ESM einmal in Kraft, kann aber auch – und damit bin ich bereits bei den wirtschaftlichen Folgen – der Deutsche Bundestag einer unbegrenzten Ausweitung des Haftungsrisikos Deutschlands nicht mehr entgegen treten. Denn zwar setzen die deutschen Begleitgesetze Bundestagsentscheidungen über alle wichtigen ESM-Fragen voraus, doch der deutsche Vertreter im Gouverneursrat des ESM hat durch den ESM-Vertrag eine so herausgehobene Stellung (insbesondere durch seine politische Immunität), dass er sich daran nicht gebunden zu fühlen braucht. Näheres findet ihr unter dem Titel „Die unbeschränkte Haftung durch den ESM„.
„Unendlich“ ist das Risiko trotzdem nicht. Hier bin ich dem Bundespräsidenten a.D. Roman Herzog dankbar, dass er auf die Möglichkeit eines Staatsbankrotts Deutschlands hingewiesen hat. Durch eine Staatspleite wäre man der Haftung wieder ledig. Damit kann die Grenze gesetzt werden.
Welche Wirkung allerdings eine Staatspleite hätte, kann sich jeder selbst ausmalen.
Was ist nun mit den „unendlichen Risiken“, wenn der ESM verzögert wird? Nun, auf den ersten Blick ist es schwer, überhaupt Risiken auszumachen. Es gibt ja noch den alten Rettungsschirm EFSF. Der hat immer noch 248 Milliarden € Ausleihkapazitäten zur Verfügung. Das sollte doch zumindest ein paar Monate reichen; für Spanien und Zypern, die aktuellen Fälle, reicht es auf jeden Fall.
Wenn überhaupt, lassen sich Risiken erst beim Blick auf die Finanzmärkte erkennen. Und darauf zielte Finanzminister Schäuble in seiner Stellungnahme vor dem Verfassungsgericht. „Spekulation über den Austritt einzelner Staaten aus dem Euro“ nannte er etwa als Gefahr.
Nun, ich finde es immer wieder erstaunlich, wenn über die Finanzmärkte wie über eine Art Naturgewalt gesprochen wird. Die Finanzmärkte sind eine gesellschaftliche Einrichtung, dachte ich. Die Finanzmärkte stehen nicht außerhalb von Recht und Gesetz, dachte ich.
Wenn aber die Finanzmärkte tatsächlich so gefährlich sind, wie Schäuble sie darstellt, warum tut er dann so wenig für bessere Finanzmarktregeln? Wie glaubwürdig ist Schäuble überhaupt, wenn er auf vor dem Verfassungsgericht vor den Finanzmärkten warnt, sie auf der anderen Seite aber gewähren lässt?
Die Wirtschaft ist ein dynamisches, nichtlineares System. Und genauso wie der Flügelschlag eines Schmetterlings in China hier ein Gewitter verursachen kann, genauso kann darum auch eine falsche Entscheidung des Verfassungsgerichts eine neue Weltwirtschaftskrise herbeiführen. Ohne Frage. Es fragt sich allerdings auch, ob solche Überlegungen wirklich die Entscheidungen des höchsten deutschen Gerichtes leiten sollten.
So viel also zu den „unendlichen Risiken“. Bis zum 12. September will sich das Bundesverfassungsgericht laut Pressemitteilung für die Entscheidung über eine einstweilige Anordnung zum ESM und zum Fiskalpakt Zeit lassen.
Zitat „Wenn aber die Finanzmärkte tatsächlich so gefährlich sind, wie Schäuble sie darstellt, warum tut er dann so wenig für bessere Finanzmarktregeln? Wie glaubwürdig ist Schäuble überhaupt, wenn er auf vor dem Verfassungsgericht vor den Finanzmärkten warnt, sie auf der anderen Seite aber gewähren lässt?“
Entweder haben Sie Schäuble nicht richtig verstanden, oder es liegt hier eine eigenwillige Sicht auf „die Finanzmärkte“ vor.
Schäuble meinte wohl, das eine Verzögerung des ESM zu weiterem Vertrauensverlust der Finanzmärkte, d.h. der Anleger(!) in Staatsanleihen der Peripherie führt, womit die Zinsen für Anleihen ebendieser Länder weiter steigen dürften und letztendlich das Problem verschärfen würden.
Wie stellen Sie sich denn das „regeln“ der Finanzmärkte / Anleger vor? Möchten Sie diese zwingen, Staatsanleihen zu geringen Zinssätzen zu zeichnen? Da kann ich ihren Gedanken leider nicht folgen. Vielleicht könnten Sie das ja noch konkretisieren?
Gruß
Guenni
@Guenni7
„Wie stellen Sie sich denn das “regeln” der Finanzmärkte / Anleger vor?“ – Da müssen Sie schon Schäuble fragen. Ich weise nur darauf hin, dass seine Position inkonsequent ist.
„Möchten Sie diese zwingen, Staatsanleihen zu geringen Zinssätzen zu zeichnen?“ – Ich persönlich glaube, dass die Märkte im Falle der Südländer zwar keinen guten Job machen, aber doch zumindest einen besseren als die Politik. Tatsächlich haben die Märkte ja das Griechenlanddesaster schon gesehen, als die Politik noch abgewiegelt hat. Siehe auch „Ich kann dieses Gelaber vom Marktversagen nicht mehr hören.
Wenn Schäuble allerdings da anderer Meinung ist, ja dann wäre doch so ein Maximalzins eine viel bessere Maßnahme als das Milliardengrab ESM.
Zitat: „Konkret geht es für die Verfassungsrichter um die Frage, ob ein Inkrafttreten des ESM jetzt verantwortbar ist, auch wenn später möglicherweise die Verfassungswidrigkeit des Rettungsschirms festgestellt werden muss. Und umgekehrt muss das Richterkollegium entscheiden, ob eine Verzögerung des ESM verantwortbar ist, auch wenn später vielleicht festgestellt wird, dass der ESM keine Verfassungsprobleme birgt. Zu untersuchen sind dabei jeweils die juristischen wie die wirtschaftlichen Konsequenzen.“
bwahahaha……ich pack es nicht. Nur mal zur Info lieber Verfasser….Das Bundesverfassungsgericht hat laut GG nur die Aufgabe zu prüfen, ob etwas gegen das GG verstößt oder nicht. Es ist völlig unerheblich, was für wirtschaftliche Folgen es haben könnte. Das ist eben die Propaganda der Demokratiefeinde und des Kapitals. Setzen 6….und zwar eine Beton6. Sollten die Richter nach diesem Prinzip „Recht sprechen“, wäre das Rechtsbeugung im Amte. Ebenso könnte ich ja sagen, dass ich bspw. den Einsatz der BW im Inneren zulasse. Es verstößt zwar gegen das GG, aber es könnten ja Geschehnisse passieren (hinter denen eh die Geheimdienste und Demokratie-und GG-Gegener stecken), die man nicht verantworten könne. Wer solch ein Geschwätz von sich gibt, sollte sich mal eindringlicher mit dem GG auseinandersetzen.
Sorry, aber bei dem Thema reagiere ich ganz allergisch. Das GG ist das Einzige und der Halt, was wir noch besitzen. Es ist unbestechlich und sichert uns das momentane „Sein“ dieser Republik.
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Der Markt entscheidet in der Regel vernünftig aus Sicht von Menschen und insbesondere Kunden. Die ganze Finanzkrise ist das Ergebnis von manipulieren Märkten sei es durch staatlichen Eingriff oder durch Marktteilnehmer selbst. ESM betreibt Marktmanipulation (konsequente Fortsetztung des Mechanismus der in die sog. Stabilitätskrise führte … ). Allein das Wort Stabilität in Form einer Institution ist ein Hinweis darauf. Dafür sollen Steuergelder fließen, das kommt mir verdächtig vor.
Egal, schauen wir was rauskommt. Es wird nicht viel helfen.
Off Topic 🙂 Für den Herrn Wurm – möglw. interessant, eher zur Unterhaltung.
http://partialobjects.com/2012/06/why-athens-burns-waiting-for-the-germans-to-put-it-out/
@sword,
„Setzen 6….und zwar eine Beton6.“
Die Sechs muss ich dir leider zurückgeben. Bei der Anhörung ging es ja nur um die von den Klägern beantragte einstweilige (also vorläufige) Anordnung und nicht um die Klage selbst. Und für eine Entscheidung darüber werden die Konsequenzen einer solchen Anordnung betrachtet.
Hallo, danke für den sehr anschaulichen und doch detaillierten Bericht der sicherlich einem breiteren Publikum zuganglich gemacht werden sollte!
Erstaunt nehme ich zur Kenntnis dass sowohl in der Diskussion in den Foren und der Presse, als auch bei Gericht sich keiner die Frage stellt ob den bei all diesen juristisch, technischen, ökonomischen Grundsatzdiskussionen und Spitzfindigkeiten den eigentliche „Vertragszweck“ noch erreicht wird.
Die Menschen die sich nach dem zweiten Weltkrieg zusammengesetzt haben um darüber zu bestimmen wie Deutschland zukünftig funktionieren soll hatten doch dabei ein Ziel, eine Vorstellung was das neu Grundgesetz bewirken sollte, das schlägt sich sicherlich nicht nur in dem Amtseid (… zum Wohle des deutschen Volkes…) sondern auch in an anderer Stelle ( … der Souverän ist das deutsch Volk …) nieder, sondern auch in der damals verabschiedeten Präambel.
Und bei allen Analogien zur Technik (Gau und Grenzen) kann es doch nicht wirklich einen zulässige Alternative sein das das Wohle des XYZ Staates zu Lasten des eigenen Staatsvolk verbessert wird oder umgekehrt. Und genauso war in meinen Augen die Bailout-Klausel gemeint! (ob nun daneben, oben drüber oder untendrunter *gr*)
Warum als stellt man nicht die Frage was ist das kleiner Risiko für das Staatsvolk und nicht was ist das Risiko für die Welt?
(PS: Das man das nicht kann ist einfach nur einen Ausrede! Risiken zu bewerten (auch die kompliziertesten, machen Banken und Versicherungen, Kraftwerksbauer, Wissenschaftler ….. ständig)
Und einen zweite Ebene: Warum stellt das Gericht sich den nicht die Frage ob mit den anstehenden Verträgen auch das Wohl des ganzen Volkes und nicht nur das Wohl eines privilegierten Teiles des Volkes erreicht wird (werden soll)?
Auch davon habe ich in der Verfassung weder was gelesen, gesehen und auch im Geiste der Verfassung kann ich das nicht finden …. (Glaubt mir ich habe versucht ihn zu beschwören! *gr*)
Gibt es eine rationale Antwort darauf?
PS: Danke für den Link zum Verfassungsforum!
@ Sword: Der Verfasser hat das völlig richtig beschrieben. Im Verfahren um die einstweilige Anordnung wird lediglich die Zulässigkeit des Antrags, das Nicht-Vorliegen einer offensichtlichen Unbegründetheit und anschließend eine Rechtsfolgenabwägung getroffen, die hier nunmal so aussieht, wie es der Verfasser beschrieben hat. Ob man den ökonomischen Auswirkungen dann allerdings überhaupt dieses Gewicht beimessen darf, wie es sicher später der Fall sein wird, wenn man die Anhörung verfolgt hat, ist etwas, was man sicherlich unterschiedlich beurteilen kann. Die „6“ haben leider Sie verdient.
@nachdenklich,
„Und bei allen Analogien zur Technik (Gau und Grenzen) kann es doch nicht wirklich einen zulässige Alternative sein das das Wohle des XYZ Staates zu Lasten des eigenen Staatsvolk verbessert wird oder umgekehrt.“ – Darum behauptet die Regierung ja auch immer, ohne den Euro ginge es Deutschland viel schlechter. Da ist natürlich falsch, aber genug Leute glauben es. Und das Verfassungsgericht hat leider nicht die Mittel, solche Behauptungen zu entlarven.
@nachdenklich,
„hallo, danke für den sehr anschaulichen und doch detaillierten Bericht der sicherlich einem breiteren Publikum zuganglich gemacht werden sollte!“
Da kann ich dich jetzt beruhigen. Der Text soll auch auf carta.info veröffentlicht werden.
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