Wirtschaftswurm-Blog

Karlsruher Urteil zum ESM: Der Höllenmaschine wurde die Bazooka genommen

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ESM fand man in einigen Netzmedien dumme Kommentare zum Thema. Tatsache ist: Dass eine Haftungsobergrenze nun eindeutig festgeschrieben wird, ist nicht belanglos. Zum Thema der gerichtlichen Immunität der ESM-Organmitglieder hätten die Karlsuher Richter aber mehr liefern müssen.

Zum gestrigen Karlsruher ESM-Urteil gabe es kluge und dumme Kommentare. Zu den dümmeren zählte der von Peter Ehrlich in der FTD. Nach Ehrlichs Auffassung hat Karlsruhe nur klargestellt, was eh schon klar war.

Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht aber festgestellt, dass der ESM-Vertrag zweideutig ist. Einerseits legt er zwar ausdrücklich eine Haftungsobergrenze von 190 Milliarden € für Deutschland fest, andererseits schafft er aber auch die Möglichkeiten, diese Haftungsobergrenze zu umgehen. Und wer die lange Diskussion um den Aufbau einer Euro-Bazooka mit unbegrenzter Feuerkraft kennt, ahnt, dass die Zweideutigkeit durchaus Hintergedanken hatte.

Gut also, dass nun zumindest eine Haftungsobergrenze von 190 Milliarden festgezurrt werden soll. „Schallende Ohrfeige für Wolfgang Schäuble“, so hätte man darum gestern durchaus schreiben können. Denn Schäubles Ministerium war auf deutscher Seite für den zweideutigen Vertragstext verantwortlich. Doch nur Leo Hänel auf Carta macht sich diesen Aspekt zu eigen.

Die Festschreibung der maximalen Haftungssumme erfolgt übrigens nicht durch eine bloße „Mitteilung“ an die anderen ESM-Partner, wie Peter Ehrlich schreibt. Die Erklärung zur Haftungsobergrenze muss laut Bundesverfassungsgericht völkerrechtlich verbindlichen Charakter bekommen. In der Wirkung wird auf diesem Wege der ESM-Vertrag ergänzt und damit geändert. Das gilt genauso für die zweite von Karlsruhe geforderte Erklärung, die die Unverletzlichkeit der ESM-Unterlagen und die Schweigepflicht der ESM-Organmitglieder wieder einschränkt.

Die anderen ESM-Partner könnten der deutschen Ergänzung des ESM-Vertrages widersprechen, so könnte der ESM immer noch scheitern. Man wird es wohl nicht darauf ankommen lassen; aber die Festschreibung der Haftungsobergrenze birgt schon Konfliktpotenzial. Müssen die anderen Länder mehr haften, wenn für Deutschland bei spätestens 190 Milliarden € Schluss ist?

Es ist auf jeden Fall sinnvoll, wenn die Karlsruher Richter in dem Zusammenhang eine Refinanzierung des ESM durch die Notenbank ausgeschlossen haben. Auch auf diesem Wege wird es keine Bazooka geben. Gut auch, wenn das Verfassungsgericht im Hauptsacheverfahren die Anleihkäufe der EZB unter die Lupe nehmen will. Die Verfassungsrichter haben den Vorwurf ernst genommen, die EZB umgehe damit illegal das Verbot, öffentliche Haushalte zu finanzieren. Rettungsfetischisten wie Mark Schieritz bekommen bereits kalte Füße.

Dass die Karlsruher Richter die Höllenmaschine ESM wirklich stoppen könnten, war wohl eine Illusion. An einem Punkt hätten sie aber meiner Meinung nach mehr tun können. Beim Punkt Immunität der ESM-Gouverneure und -Direktoren. Es reicht hier nicht, festzustellen, dass die Kläger kein Recht darauf haben, dass andere gerecht bestraft werden. Im Konfliktfall werden nämlich all die schönen Bestimmungen, mit denen die Rechte des Bundestages gesichert werden sollen, wirkungslos, wenn die ESM-Gouverneure und -Direktoren folgenlos, weil gerichtlich immun, gegen sie verstoßen können. Das Mindeste, was das Bundesverfassungsgericht hätte fordern müssen, wäre, dass der Bundestag die gerichtliche Immunität der ESM-Leute aufheben können muss. Nur so bliebe er allzeit Herr des Verfahrens.


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11 Kommentare

  1. Nach meiner Interpretation hat das BVerfG übrigens nicht die These bestätigt, dass Deutschland bei einem Ausfall anderen Länder automatisch nachschießen muss, sondern scheint eher davon auszugehen, dass auch in diesem Fall die Haftung bei 190 Mrd. geblieben wäre. Es wäre halt in diesem Fall die Menge Geld, die der ESM bewegen kann, gesunken. Fand ich ganz interessant, dass die das so interpretiert haben. Aber der ganze Abschnitt ist so voller Konjunktive, dass da eigentlich niemand richtig was weiss. Also hat das BVerfG gesagt: Regelt das eindeutig.

    Das nur als Ergänzung.

    Ansonsten stimme ich deiner Interpretation zu: Kluges Urteil, das bei der Haftungsobergrenze auch sehr deutlich ist, bei der Immunität aber etwas schwammig ist (vielleicht kommt da noch was im Hauptverfahren). Dass der Bundestag die Immunität allein aufheben darf, wie du forderst, geht aber auch nicht. Dann könnte jedes Land allein darüber die Konstruktion zum Kippen bringen. Da muss irgendwie anders vorgegangen werden (wie auch immer), EuGh?)

    Was die Medien daraus machen, wundert mich auch. Einmal wird über zu viel Macht der Richter in Karlsruhe geschrieben, einmal machen sie zu wenig. Immer gibt es was zu nasen …

  2. Das Häschen sagt

    Es ist sinnvoll Absolutbeträge festzulegen. Das ist einmal ein Anfang.

  3. Winner sagt

    Und Schäuble besitzt noch die Frechheit vor der Kamera des Deutschen Fernsehens zu
    behaupten, dass das Bundesverfassungsgericht nur bestätigt habe, was sowieso schon
    vereinbart war.

  4. Wirtschaftswurm sagt

    @egghat,
    zunächst, warum war dein Kommentar zuerst im Spamordner?
    Und wie geschrieben, meiner Meinung nach war der Vertrag bewusst zweideutig. Zumindest Frankreich & Co. wollten ein Hintertürchen.
    So wie ich das im Urteil lese, haben sich die Kläger bei der Frage der Immunität nur auf Artikel 3 GG, den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz berufen. Das hat das BVerfG als Klagegrundlage nicht zugelassen. Für mich ist aber wichtig, dass durch die Immunität die Autorität des Bundestages beschränkt wird. Das ist zwar vielleicht vermessen, wenn ich als Nicht-Jurist den Klägern hier Ratschläge gebe, an dieser Frage könnte man aber vielleicht tatsächlich noch einmal nachhaken.
    Und Egghat, wir sind uns doch wahrscheinlich darüber einig, dass die Immunität für die Arbeit des ESM völlig überflüssig ist.

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  6. Teufel sagt

    Das BVerfG hat sich mal wieder eines unzulässigen Kniffs bedient, um zu einem erträglichen Ergebnis zu kommen: Es hat so getan, als wäre die Auslegung, dass Deutschland tatsächlich nicht nachschießen muss, ohne dass es im Gremium zustimmt, die wahrscheinliche; tatsächlich sagt es selbst, dass sowohl systematische als auch teleologische Gründe dagegen sprechen würden. Da frag ich mich ja schon, was denn für diese Auslegung gesprochen hätte. Die selbe Masche, wie beim europäischen Haftbefehl… Völlig absurd wird dann die Argumentation, dass der ESM-Vertrag die Verschwiegenheit nicht gegen die Parlamente meine; ja welche denn sonst?! Wenn erstmal – und sei es nur ein Ausschuss – informiert ist, ist das öffentlich, was da verhackstückt wurde. Die haben den Vertrag quasi verfassungskonform umgeschrieben…

  7. Wirtschaftswurm sagt

    Ich frage mich gerade, ob es schon kurz nach Einführung des ESM einen Beschluss geben wird, die Haftungssumme zu erhöhen. Irgendwer muss doch den griechischen, portugiesischen und irischen Anteil übernehmen? Egal, was das Verfassungsgericht da interpretiert hat (@egghat, @Teufel), der ESM war auf keinen Fall wirklich so gedacht, dass die verfügbare Summe sinkt, wenn ein Land ausfällt. Da wäre der ESM schnell am Ende.

  8. Blinse sagt

    Stimmt, ist eigentlich ganz einfach: Gibts Ausfälle, müssen andere nicht nur ausgleichen, sondern mehr nachschiessen. Wirtschaftswurm, frag dich nicht, lass uns abwarten. Dauert auch nicht lang.

  9. Blinse sagt

    Sieh an, 10 Tage später gibts die ersten Berichte von der „Hebelung des ESM.“ Hat also wirklich nicht lange gedauert.

  10. Wirtschaftswurm sagt

    Ja, die Grenzen, die das BVerfG gesetzt hat, sind leider leicht zu umgehen. Letztlich liegt die Frage ESM in der Hand des Wählers. Die Mehrheit ist zwar gegen den ESM, die Wahlentscheidung wird dadurch aber bislang kaum beeinflusst.

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