Oskar Lafontaines Rede letzte Woche auf der Tagung „Real World Economics“ beweist (einmal mehr), dass der Saarländer wieder in alter Frische da ist. Deswegen eine kritische Anmerkungen zu seinem Vortrag „10 Jahre Agenda 2010“, den man sich auch als Video im Netz ansehen kann.
Lafontaine geht auf den Begriff Lohnnebenkosten ein und mit Hinweis auf den Ordoliberalen Alexander Rüstow sagt er: „Lohnnebenkosten gibt es überhaupt gar nicht.“
Nun, in der Buchhaltung der Unternehmen gibt es natürlich die Lohnnebenkosten, nämlich in Form der Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen mit Kranken- und Rentenversicherung als größte Brocken. Richtig ist aber, dass für die Unternehmen die Aufteilung der Lohnkosten in Bruttolohn und Lohnnebenkosten keine Rolle spielt. Entscheidend ist nur die Summe. Durch sie sind die Aufwendungen des Unternehmens für einen Arbeitnehmer benannt.
Unter der Annahme vollkommen flexibler Arbeitsmärkte ist diese Summe darüber hinaus völlig unabhängig von den Lohnnebenkosten. Denn jede Senkung der Lohnnebenkosten führt zu einer entsprechenden Erhöhung des Bruttolohns und umgekehrt, so dass die Lohnkosten als Summe gleich bleiben. Warum? Nun, bei vollkommen flexiblen Arbeitsmärkten führen fallende Lohnnebenkosten sofort dazu, dass die Nachfrage nach Arbeit steigt, und dies führt sofort dazu, dass die Arbeitsanbieter mit höheren Bruttolohnforderungen reagieren.
Nun haben wir keine vollkommen flexiblen Arbeitsmärkte und Oskar Lafontaine wünscht sie sich auch gar nicht. Die Lohnkosten steigen mit steigenden Lohnnebenkosten und sinken mit fallenden Lohnnebenkosten. Das macht die ganze Sache kompliziert.
Lafontaine kritisiert die Arbeitgeber, weil sie bloß ihre Aufwendungen für die Arbeitskräfte senken wollen, wenn sie eine Senkung der Sozialversicherungsleistungen fordern. Aus einer anderen Perspektive könnte man aber genauso gut die Arbeitnehmer krisitisieren. Ihnen geht es vielleicht nur darum, den für sie aufgewendeten Anteil am Volkseinkommen zu erhöhen, wenn sie eine Erhöhung der Sozialversicherungsleistungen fordern.
Durch den Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungen wird die Entscheidung über die Sozialversicherungsleistungen auch immer zur Spielwiese für Verteilungskämpfe zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Diese Verquickung macht sachgerechte Lösung aber nicht einfacher. Ich meine, dass unsere Welt schon komplex genug ist und dass die Politik sie nicht noch komplexer machen sollte, indem sie willkürliche Verbindungen zwischen zwei Problembereichen herstellt.
Warum trennen wir also nicht die Frage nach der Höhe von Sozialversicherungsbeiträgen und -leistungen von der Frage nach der Höhe der Löhne bzw. Lohnkosten. Schaffen wir den Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungen ab und kompensieren die Arbeitnehmer dafür, dass sie nun die gesamte Sozialversicherungslast tragen müssen, mit einer einmaligen Erhöhung der Bruttolöhne, so dass sich die Nettolöhne nicht ändern!
Genialer Vorschlag.
Die Arbeitgeber fliegen aus den Verwaltungen der Sozialversicherungen raus.
Und wenn die Arbeitnehmer Beitragssterigerungen beschliessen, erhöhen sich die Löhne um den Betrag, per Gesetz.
Mein Vorschlag an die Selbstverwaltung.
Abschaffung der Zumutbarkeitskriterien in der Arbeitslosenversicherung.
Steigerung der Beiträge.
Verknappung des Arbeitsangebots.
Macht der Arbeitgeber gebrochen.
Hmm, ich hab eigentlich gemeint (und geschrieben), dass sich die Bruttolöhne nur einmal erhöhen. Danach können die Arbeitnehmer nach eigenem Belieben Beitragserhöhungen oder -senkungen beschließen, das betrifft die Arbeitgeber nicht mehr.
Das wären dann ja klare Verantwortlichkeiten, da könnte noch wer zur (politischen) Rechenschaft gezogen werden. Das darf auf keinen Fall geschehen, nicht in diesem Deutschland.
Die Macht der Arbeitgeber ist in Deutschland „noch“ vergleichsweise klein. Doch die Politik sollte in die Richtung Entmachtung der Arbeitgeber weitergehen. Irgendwann hätten wir ansonsten eine starke Vormachtsstellung. Lafontaine war mir schon immer ein guter Politiker!
Pingback: Kleine Presseschau vom 19. September 2012 | Die Börsenblogger
Als Lohnnebenkosten werden praktisch alle Kosten außer den Direktvergütungen bezeichnet, d. h. weit mehr als nur die Sozialversicherungsabgaben, was schon a priori zu Fehlinterpretationen führt. Außerdem handelt es sich um eine Verblödungsvokabel einer auf den Hund gekommenen Begrifflichkeit der herrschenden ökonomischen Lehre und der von ihr geprägten Diskussionen.
Selbst erklärte Feinde des Sozialstaates wie F. A. von Hayek hält entsprechende Pflichtversicherungen für erforderlich, da viele Menschen „sonst der Allgemeinheit zur Last fielen.“ Daher sind die dafür fälligen Abgaben, egal ob als Beiträge oder Steuern, keine „Neben“-Kosten, sondern unverzichtbare Lohnfaktoren. Wird der Arbeitgeberanteil den Versicherten zugeschlagen, bleiben die Arbeitskosten davon per Saldo unberührt.
Die Vorstellung, mit dem Verschwinden bzw. Einfrieren des Arbeitgeberanteils hätte die Entwicklung der Sozialversicherungsausgaben keinen Einfluss mehr auf die Arbeitskosten,
ist Voodoo-Ökonomie, denn selbst wenn steigende Beiträge dann nicht mehr unmittelbar in hälftiger Höhe auf die Lohnkosten auswirken; bei den nächsten Tarifverhandlungen werden sie dann mit Sicherheit geltend gemacht – und zwar mit fortlaufende Anpassung an die steigenden Sozialkosten (die im Übrigen seit 1975 gemessen am BIP gleichgeblieben sind) und nicht durch eine einmalige Erhöhung des Bruttolöhne.
Gruß
Popper