Wirtschaftswurm-Blog

Die unbeschränkte Haftung durch den ESM

Die deutsche Haftung für den neuen Euro-Rettungsschirm ESM sei beschränkt, heißt es häufig. Eine Lüge!

Regenschirm mit Europasymbol über Euromünze

Euro-Rettungsschirm

Genannt werden als Haftungsgrenze meist die 21,7 Milliarden €, die Deutschland direkt in den ESM einzahlen soll plus die 168,3 Milliarden €, die es an Garantien übernimmt. Macht 190 Milliarden €. Immerhin, das sind bereits Deutschlands gesamte Steuereinnahmen von vier Monaten.

Nicht zu vergessen sind allerdings die Lasten aus dem alten Rettungsschirm EFSF und der ersten Griechenlandhilfe. Der Haftungsanteil Deutschlands für bereits gezahlte oder zugesagte Darlehen des EFSF an Irland, Portugal und Griechenland beträgt 87,3 Milliarden €. Ob auch das Programm für Spanien zusätzlich draufgesattelt werden soll, scheint auch in der Woche, in der der Bundestag über die Milliarden entscheiden soll, unklar. Selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, sind wir bereits bei einer Summe von 277,3 Milliarden € oder den gesamten Steuereinnahmen von sechs Monaten.

Nun besagt Artikel 25 Absatz 2 des ESM-Vertrages: „Zahlt ein ESM-Mitglied nicht, so müssen die anderen ESM-Mitglieder diese Zahlungen anteilig übernehmen.“ Wenn Griechenland seinen Bankrott erklärt, muss also Deutschland seinen Anteil erhöhen, dasselbe, wenn Portugal, Spanien usw. ausfallen. Letztlich kann eine Situation eintreten, in der Deutschland für das gesamte Stammkapital des ESM und also für zunächst 700 Milliarden € haftet. So sieht es auch der Bund der Steuerzahler Bayern. Das sind die gesamten Steuereinnahmen von knapp 15 Monaten.

Graue Theorie? Leider nicht. Dadurch, dass die Haftung jedes ESM-Mitglieds erhöht wird, fällt ein anderes aus, ist eine Kettenreaktion denkbar. Wirtschaftswissenschaftler wie Yanis Varoufakis weisen darauf seit längerem hin. Der ESM ist eben gerade nicht das „robuste Krisenbewältigungsinstrument“, als das ihn die Regierungsfraktionen in den Erläuterungen zum deutschen Gesetzentwurf anpreisen. Ganz im Gegenteil erhöht der ESM die Ansteckungsgefahr.

Nun ist allerdings die Darlehenssumme für den ESM auf 500 Milliarden € begrenzt. Also ist schlimmstenfalls doch nur das Steueraufkommen von gut 10 Monate weg? Leider nein, denn die maximale Darlehenssumme kann vom Gouverneursrat des ESM geändert werden. Und nicht nur das, auch die 700 Milliarden € Stammkapital können durch Beschluss des Gouverneursrates erhöht werden. Die deutsche Haftung kann also in einer späteren Phase selbst 700 Milliarden € übersteigen.

Stimmen, die fordern, den Rettungsschirm zu vergrößern, gibt es ja bereits.

Aber muss nicht eine Erhöhung des Stammkapitals nach Artikel 5 ESM-Vertrag vom Gouverneursrat einstimmig beschlossen werden? Und benötigt nicht der deutsche Vertreter im Gouverneursrat, also der deutsche Finanzminister, für eine Zustimmung nach Artikel 2 Absatz 1 des deutschen Zustimmungsgesetzes eine Ermächtigung durch den Gesetzgeber, also den Bundestag? Sind damit nicht zwar weite, aber doch wirksame Haftungsgrenzen gesetzt?

Im Zweifel nein. Denn als Gouverneur des ESM genießt der deutsche Finanzminister persönliche Immunität (Artikel 35 ESM-Vertrag), die nur vom Gouverneursrat selbst aufgehoben werden kann. Der Finanzminister kann also im Gouverneursrat eigenmächtig entscheiden, auch gegen deutsche Gesetze, ohne dass er Folgen zu befürchten hat.

Dem Bundestag bliebe als Sanktion allenfalls der Sturz der gesamten Regierung durch Wahl eines neuen Bundeskanzlers, also das konstruktive Misstrauensvotum. Eine sehr hohe Hürde! Und auch das würde ja den einmal gefassten Beschluss des ESM-Gouverneursrates nicht ungültig machen. (Ähnlich argumentiert Rechtsanwältin Bettina Brück in der FAZ.) Gezahlt werden müsste trotzdem, zumindest verlöre Deutschland ansonsten sein Stimmrecht im ESM.


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15 Kommentare

  1. Teufel sagt

    Gute Darstellung; auf einmal gewinnt auch der Aspekt, wieso die Mitglieder im Gouverneursrat Immunität genießen, eine ganz andere Bedeutung…

  2. Pingback: Bis dass der Tod uns scheidet | einspruch!

  3. Wirtschaftswurm sagt

    Ich musste Deutschlands Anteil am EFSF noch einmal um ein paar Milliarden nach oben korrigieren, denn er beträgt nicht – wie erst unterstellt – 27,1 %, sondern (weil Portugal, Irland und Griechenland nicht mithaften) 29,1 %.
    Das Handelsblatt beziffert übrigens die Teilhaftung Deutschlands auf sogar 310 Milliarden. (Was aber, um das noch mal klarzustellen, nicht das Maximum ist.) Eingerechnet wurden 9,8 Milliarden € deutscher Anteil an den Hilfen aus dem EU-Haushalt. Hinzu kommen etwas andere Werte für die deutsche Haftung am EFSF und am ersten Griechenlandpaket, die ich im Moment nicht nachvollziehen kann. Im Zweifel hat das Handelsblatt aber die bessere Quelle, nämlich das Bundesfinanzministerium.

  4. Danke, dass Sie leisten, was unsere Finanz“experten“ im Bundestag (z.B. Petra Merkel, SPD) nicht leisten können oder wollen: Uns den ESM erklären.

    Ich bin sicher: Wenn die Elitejuristen in den Banken bisher jede Schwachstelle einer Regulierung zum Vorteil ihres Arbeitgebers gefunden haben, werden sie auch Wege finden, den ESM zu missbrauchen. Wie z.B.: Wie stellt man sicher, dass einer unter Hypothekenkrediten leidenden Bank nicht am Ende beides gehört: Das Haus und die Rettungseuros?

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  10. Das ist erschreckend. @rundertisch die Abgeordneten beobachten den Fussball vor allem um gewisse Entscheidungen auf Fussball-Endspieltage zu vertagen.

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