Wirtschaftswurm-Blog

OMT und Verfassungsgericht: Die Diskussion um die Weichenstellungen für die Europäische Zentralbank

BVerfG_Sitzungssaal

Nachdem der Paukenschlag des Bundesverfassungsgericht – nämlich sein Verdikt über das Anleihekaufprogramm OMT der Europäischen Zentralbank – wahrgenommen wurde, wenn auch mit Verspätung, kommen sie jetzt wieder aus ihren keynesianischen Löchern gekrochen: die Thomas Frickes dieser Welt, also die Dauernörgler mit Ökonomie-Hintergrund. Mit Fricke können wir allerdings kurzen Prozess machen. Die ausführlichere Replik verdient hingegen ein Blogbeitrag von André Kühnlenz.

Fangen wir also bei Thomas Fricke („Was erlauben Karlsruhe“) an. Seine gesamte Rechtfertigung des OMT-Programms beruht auf einer Verwechselung. Fricke behauptet, Aufgabe der EZB sei es, die Währung, also den Euro, zu sichern. Das ist falsch.

Aufgabe der EZB ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. So steht es in Artikel 127 AEUV. Und das ist etwas ganz anderes. Es ist nicht Sache der EZB, wenn ein Land die Währungsunion verlässt. Umgekehrt wird aber ein Schuh daraus: Dauerhaft hohe Inflation wird den Bestand der Währungsunion gefährden.

Nun zu André Kühnlenz („Die Verfassungsrichter blamieren sich bis auf die Knochen …“). Kühnlenz stürzt sich auf einen Satz in der Begründung der Richter, der tatsächlich für sich genommen falsch ist. Bevor ich dazu komme, aber noch einmal, wie die EZB das OMT-Programm rechtfertigt.

Die EZB beabsichtigt Staatsanleihen von Krisenstaaten zu kaufen, um durch ihre Nachfrage die Kurse der Anleihen zu erhöhen, was gleichzeitig bedeutet, dass die Zinsaufschläge zu den Staatspapieren der als sicher geltenden Staaten sinken. Diese Zinssenkung für Staatspapiere soll dann – so hofft die EZB – zu einer Senkung der Zinsen führen, die die Banken der betroffenen Ländern für ihre Refinanzierung zahlen, und auf diesem Weg zu einer Senkung der Zinsen für alle in den Krisenstaaten.

Nun zum falschen Satz der Verfassungsrichter:

Nach der überzeugenden Expertise der Bundesbank spiegeln … Zinsaufschläge allerdings nur die Skepsis der Marktteilnehmer wider, dass einzelne Mitgliedstaaten eine hinreichende Haushaltsdisziplin einhalten können, um dauerhaft zahlungsfähig zu bleiben.

Das ist für sich genommen in der Tat falsch. Neben fehlender Haushaltsdisziplin können die Zinsaufschläge auch

  1. das Risiko widerspiegeln, dass ein Land die Währungsunion verlässt und/ oder
  2. aus irrationalen Motiven herrühren.

Aber drei Sätze weiter relativiert das Bundesverfassungsgericht selbst:

Jedenfalls lassen sich nach den Ausführungen der Bundesbank Zinsaufschläge in der Praxis nicht in einen rationalen und einen irrationalen Teil trennen.

Und das ist das entscheidende. Wenn es keine Methode gibt, rationale und irrationale Zinsaufschläge voneinander zu unterscheiden, dann wird natürlich das Argument „Das ist jetzt aber irrational!“ völlig beliebig. Die EZB könnte es als Massenvernichtungswaffe gegen jeden Einwand einsetzen, der einer Ausweitung ihrer Kompetenzen entgegenstünde. Warum z.B. sollte dann die EZB nicht auch Anleihen von kriselnden Unternehmen kaufen, wenn sie der Meinung ist, das Unternehmen stehe doch eigentlich gar nicht so schlecht dar?

Und eines sollte auch klar sein: 2011/2012 war die Angst, Länder könnten aus der Eurozone austreten, nicht irrational, sondern berechtigt. Berlusconi spielte mit dem Gedanken und selbst Sarkozy glaubte zeitweise nicht mehr an ein Fortbestehen des Euros.

Ein Austritt der Südländer machte ja auch ökonomisch Sinn. Es war sicher nicht irrational, wenn die Märkte annahmen, dass die Politiker bald dieser ökonomischen Logik folgen werden. Irrational und darum überraschend war dagegen das Festhalten der Politiker am Euro.

Um ein weiteres Argument von André Kühnlenz zu entkräften und um auch Wolfgang Münchau entgegentreten zu können, brauche ich nun noch einen zweiten Teil, einen „Nach-Schlag“.

Foto: Sitzungssaal des Bundesverfassungsgericht, Wo st 01/Wikipedia


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12 Kommentare

  1. Lieber Arne, es ist nicht irgendein Satz, es ist der zentrale Satz in der Entscheidung des Gerichts, der belegen soll, dass es sich beim OMT-Beschluss um keine währungs-/geldpolitische Maßnahmen handelt sondern um eine wirtschaftspolitische (also um unerlaubte Hilfen an Staaten).

    Das Gericht argumentiert hier auf zwei Ebenen:

    Ebene 1: Das Gericht sagt, es gibt keine Komponente in den Zinsaufschlägen, die eine unbegründete Furcht der Anleger vor einer Reversibilität des Euro ausdrücken kann, weil der Zinsaufschlag nur die Skepsis der Marktteilnehmer widerspiegelt, „dass einzelne Mitgliedstaaten eine hinreichende Haushaltsdisziplin einhalten können, um dauerhaft zahlungsfähig zu bleiben.“ Dabei beruft sich das Gericht auch noch fälschlicherweise auf die Bundesbank.

    Ebene 2: Dass Zinsaufschläge (die in den Augen des Gericht nur diese Skepsis an der Zahlungsfähigkeit eines Staates ausdrücken) auch irrational sein können, erkennt das Gericht an. Das Gericht beruft sich dabei wieder auf die Bundesbank, die sagt, dass man irrationale und rationale Komponenten eines Zinsaufschlage nicht eindeutig trennen kann.

    Auf Ebene 2 hat das Gericht recht – egal wie man die Zinsaufschläge erklärt: In der Tat lässt sich das nicht eindeutig trennen. Dennoch kann man hier bereits fragen, ob das Gericht in diesem Punkt überhaupt zuständig ist. Auch wenn man zwischen irrationaler und rationaler Komponente eines Zinsaufschlags nicht eindeutig unterscheiden kann, spricht doch nichts dagegen, dass die EZB gegen von ihr wahrgenommene irrationale bzw. extreme Ausschläge vorgehen darf. Aus dieser Tatsache abzuleiten, es würde sich hier um eine wirtschaftspolitische Maßnahmen handeln, wäre schon arg schräg. Auf jeden Fall relativiert das Bundesverfassungsgericht damit nicht den entscheidenen Satz, den auch Du falsch findest.

    Gravierender ist die Argumentation auf der ersten Ebene. Das Gericht leugnet hier schlicht und einfach die Möglichkeit von Liquiditätskrisen. Es sagt damit, es gebe nur Solvenzkrisen – die sich nur mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen bekämpfen lassen und diese Maßnahmen gehören ja nicht mehr zum Mandat der EZB, die ja nur Geldpolitik betreiben darf. Die Frage, wie berechtigt die „Furcht der Anleger vor einer Reversibilität des Euro“ ist und ob sie zu einer Liquiditätskrise geführt haben oder nicht, kann das Gericht damit gar nicht behandeln, denn diese Frage kommt in der Welt des Gerichts gar nicht vor. Deswegen passen Deine Argumente, lieber Arne, hier gar nicht.

    Wenn das Gericht damit aber ausdrücken will, dass aus Liquiditätskrisen auch Solvenzkrisen erwachsen können – wird die Argumentation auch nicht besser. So oder so, würden sich Liquiditätskrisen eben nur mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen bekämpfen lassen.

    Was das Gericht hier vollzieht, das ist ein klassischer Zirkelschluss: Das Gericht nimmt an (oder glaubt), es gibt keine Liquiditätskrisen, deswegen kann/darf die EZB auch keine Liquiditätskrisen bekämpfen. Und das ist einfach schlimm!

  2. Beobachter sagt

    André hat vollkommen Recht. Es fing schon mit der Auswahl der Experten an. Über die Schlussfolgerung des Beschlusses kann man nur den Kopf schütteln.

    Aber lieber Arne, was soll denn der Satz?

    „Umgekehrt wird aber ein Schuh daraus: Dauerhaft hohe Inflation wird den Bestand der Währungsunion gefährden.“

    Welche Gefahr von „hoher“ Inflation meinst du?

  3. Häschen sagt

    Das Argument The ‚Greater Good‘ ins Feld geführt, öffnet dem kreativen Umgang mit bereitgestellten Instrumenten durchaus Tür und Tor.

    Andere Kommentatoren, durchaus fachkundig, ob der Berufshistorie, aus dem Britischen Bankensystem, sehen, obwohl sie den EURO für noch nicht mal eine schlechte Idee halten sondern als wenig nützlich und schon gar nicht hilfreich, eine reduzierte Rolle der EZB als nicht gangbar in der Praxis. Dem kann ich ja noch zustimmen. Bleibt aber die Frage offen, worin besteht noch der Vorteil des Euros – die Größe war bisher nicht das überzeugende Argument. Braucht der Euro eine Druckerpresse? Braucht Europa eine Druckerpresse? Wenn ja, wie viele und wer bedient sie?

    Denke das ist kein neuer Aspekt in der Diskussion.

    [gekürzt]

    Ökonomie hab ich mittlerweile aufgegeben, das ist mir zu esoterisch. Was repräsentiert der Zins. Das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit der Nationalökonomie. Gepaart noch mit der Fähigkeit in Zukunft über Leistungsversprechen die Kohlen in einer Krisensituation aus dem Feuer zu holen. Das kann keiner beurteilen.

    Investoren sind ja nicht ganz dämlich. Wenn die wissen, dass in Italien die Kredite ausfallen, welcher Teufel sollte sich noch reiten selbst einen Eurobond aufzunehmen. Wo das Geld hingeht ist klar… Sie werden mir aber möglw. zustimmen – es wird trotzdem Geld fließen. Das Vertrauen ist meiner Ansicht nach allein mit dem Akt des Borgens hergestellt. Wenn mich schon Zweifel treiben, dass ich mein Geld zurückbekomme, dann wird mans noch teurer machen. Das ist sehr förderlich? Also geht es um Gewinn.

    Der Zins sagt ja, wieviel % der Kreditsumme fallen aus voraussichtlich im Schnitt über alle meine Kunden. Wenn man jetzt aber im Kontext des Euro ein Risiko von ein paar Prozent veranschlagt und annimmt, dass sowieso gestützt wird. Absurd von einer Risikoprämie auszugehen.

    Die Idee, die EZB kauft das ein oder andere Gustostück von Anleihen auf bewirkt damit Großes, kommt mir vor wie der Versuch durch Werfen von Kieselsteinen in ein Glas gefüllt mit Wasser, selbiges zum Überlaufen zu bringen. Da geht man einfach hin, schüttet das Glas aus, stellt es auf den Tisch und geht.

    Das ist ja Möhrchendünsterei.

  4. @André,
    ich verstehe ja deinen Stolz, dass du den Verfassungsrichtern eine unglückliche, zweifelhafte und missverständliche Formulierung nachweisen konntest. Aber bitte sieh doch, dass dieser umstrittene Satz überhaupt nicht wesentlich ist. Das Bundesverfassungsgericht stellt in Abschnitt 71 der Begründung zunächst zwei Meinungen gegenüber, nämlich die der EZB und die vorgebliche Meinung der Bundesbank. Vielleicht hat es die Meinung der Bundesbank nicht richtig verstanden. Das ist aber gar nicht wesentlich, da es sich diese falsch verstandene Meinung der Bundesbank gar nicht zu eigen macht. Das Resümee steht nämlich am Schluss des Abschnitts. Der einzig wichtige Punkt ist, dass man nicht zwischen rationalem und irrationalem Teil des Zinsaufschlags trennen kann.
    Wenn man aber nicht Trennen kann, dann würde es eine Generalvollmacht für die EZB bedeuten, wenn sie sich auf Irrationalitäten berufen dürfte.

  5. Teufel sagt

    Rechtlich verfährt das BVerfG in den besagten Abschnitten nach der Schwerpunkttheorie, da es Kompetenzbereiche, für die unterschiedliche Stellen zuständig sind (Mitgliedsstaaten für Wirtschafts- und Haushaltspolitik und EZB für Währungspolitik), abgrenzen muss. Dabei nimmt das BVerfG an, dass die Intention der EZB – also wie sie in Zukunft gedenkt, vom OMT Gebrauch zu machen – eine wesentliche Auslegungshilfe darstellt. Um mehr geht es nicht. Im Ergebnis sagt das BVerfG dann, im Schwerpunkt ist es Wirtschaftspolitik und dafür fehlt die Kompetenz. Aber viel Spaß mit der „Widerlegung“. Da lachen die Hühner, selbst unter den ahnungslosen Juristen. Zugegebenermaßen sollten Juristen gerne zu Wirtschaftsfragen schweigen, aber vielleicht gilt das auch für einige Wirtschaftswissenschaftler zu Rechtsfragen… Das Problem des BVerfG ist nur, dass es qua Funktion leider entscheiden muss. Wahrscheinlich hätten die auch lieber drei Haftbeschwerden über die angemessene Quadratmeterzahl eines Gefängnisklos erledigt.

  6. Stolz hin oder her, darum geht es hier nicht, Arne.

    Du glaubst, der „einzig wichtige Punkt ist, dass man nicht zwischen rationalem und irrationalem Teil des Zinsaufschlags trennen kann.“ In der Tat ist das ein wichtiger Punkt in der Argumentation der Bundesbank, wenn sie das OMT-Programm ablehnt. Doch was ist die Schlussfolgerung der Bundesbank. Die kann man seit Freitag auf der Homepage der Bundesbank nachlesen. Dort wird Jens Weidmann sehr prominent mit dem Satz zitiert, dass sich das Eurosystem „in den Grenzbereich seines geldpolitischen Mandats vorgewagt hat“.

    Du sieht den Unterschied? Die Bundesbank sieht das OMT-Programm noch immer vom geldpolitischen Mandat gedeckt an, wenngleich die EZB damit ihre Mandat sehr weit dehnt und sich in ein Grenzbereich vorgewagt hat. Wäre das Gericht aber der Bundesbank gefolgt, hätte sie nicht sagen können, beim OMT-Programm würde es sich eindeutig um Wirtschaftspolitik handeln. Dazu musste dann schon ein anderer Satz her. Und das ist der Satz über das Wesen der Zinsaufschläge, der, wie wir beide festgestellt haben, einfach falsch ist. Deswegen ist dieser Satz der wichtigste Punkt in der Entscheidung der Verfassungsrichter.

    Da diese Entscheidung aber potenziell weitreichende Konsequenzen haben könnte, sie zum Beispiel der Bundesbank verbieten könnte, operativ an solchen Anleihekäufen teilzunehmen, wäre es schon sehr fatal, wenn diese Konsequenzen auf einem klaren Fehlurteil beruhen.

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  8. Andreas sagt

    Ich wiederhole hier mal eine von mir an anderer Stelle vor dem Urteil abgegebene Einschätzung:

    „Der Überblick über die Klagegründe zeigt im Ergebnis, dass sie sich durchgehend auf Interpretationen der EZB-Motive und auf unsichere Folgewirkungen ihrer Maßnahmen stützen. Keiner der vorgeworfenen Rechtsbrüche lässt sich eindeutig belegen. Wie wird sich das Bundesverfassungsgericht dazu verhalten? Dessen Vorsitzender, Andreas Voßkuhle, hat angekündigt, dass es sich bei seiner Entscheidung nicht von der ökonomischen Begründung des OMT-Programms leiten lassen will, sondern allein von der Frage, ob es rechtlich legitimiert ist. Eine solche Trennung scheint jedoch kaum möglich, da sich, worauf Spiegel-Wirtschaftskolumnist Wolfgang Münchau richtigerweise hingewiesen hat, “rechtliche Aspekte zum Teil erst aus der ökonomischen Analyse ergeben.“ Ob der geldpolitische Transmissionsmechanismus gestört und das Handeln der EZB eine durch ihr Mandat nicht nur gedeckte, sondern gebotene Reparaturmaßnahme ist, ist ohne ökonomische Analyse nicht zu beurteilen. Gleiches gilt für die Fragen, ob das OMT-Programm die Geldwertstabilität gefährdet oder wie groß die Risiken von Anleihekäufen sein könnten. Da Ökonomik keine exakte Wissenschaft ist, können die Ergebnisse solcher Analysen aber niemals eindeutig ausfallen. Wie die Experten-Anhörung des Verfassungsgerichts gezeigt hat, kommen unterschiedliche Experten zu sehr verschiedenen Einschätzungen. Das Verfassungsgericht müsste sich aber einer Richtung der Expertenmeinungen anschließen. Wenn es auf dieser Grundlage zu einer negativen Einschätzung der Rechtmäßigkeit des EZB-Handelns kommt, macht es das Handeln der unabhängigen Notenbank von der fachlichen Einschätzung eines Teils der von ihm bestellten Ökonomen abhängig – ein Widerspruch in sich.“

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  11. @Andreas,
    zu der Frage, in wie weit die Verfassungsrichter ökonomische Analyse betreiben sollten, habe ich gerade in einem Kommentar zum neuen Blogbeitrag etwas geschrieben. Wir können also dort weiter diskutieren.

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