Wirtschaftswurm-Blog

Stehen wir am Beginn einer neuen Ära finanzieller Repression?

„Financial repression“, eingedeutscht „finanzielle Repression“, dieser Begriff steht für eine Politik, die Anleger ausquetscht wie eine Zitrone. Müssen wir uns nun auf „financial repression“ als Konsequenz aus der Finanz- und Schuldenkrise einstellen?

durchgeschnittene Zitrone

Müssen sich Anleger so fühlen wie diese Zitrone kurz vor dem Auspressen?

Der Begriff „finanzielle Repression“ ist mir erst durch Dirk Elsners Blogparade zu diesem Thema geläufig geworden. Bei den Recherchen zu „financial repression“ bin ich dann schnell auf die Seiten des großen US-Anlagefonds PIMCO gestoßen. Dort schreibt Scott A. Mather:

Wir stehen wahrscheinlich an der Schwelle einer neuen Ära weltweiter „financial repression“ mit wichtigen und weit reichenden Anlagekonsequenzen.

Doch was heißt „financial repression“ genau? Die Forscher Carmen M. Reinhart und M. Belen Sbranica beschäftigen sich in ihrer Schrift „The Liquidation of Government Debt“ damit. Sie verstehen unter finanzieller Repression eine Vielzahl von Maßnahmen, die vor allem in zwei Kategorien fallen:

  1. Maßnahmen, die direkt oder indirekt den Zinssatz deckeln. Das kann z.B. durch Obergrenzen von Guthaben- oder Darlehenszinsen geschehen, aber auch durch Zinsziele der Notenbank. Diese Maßnahmen machen alternative Investments für Anleger oder Banken unattraktiver und steigern damit die Nachfrage nach Staatsanleihen oder aber sie senken direkt die Zinsen für Staatspapiere.
  2. Maßnahmen, die Anleger darin beschränken, Alternativen zu Staatspapieren zu erwerben. Im internationalen Kontext sind das Kapitalverkehrskontrollen. Im nationalen Kontext sind Vorschriften für Pensionsfonds oder geringere Eigenkapitalanforderungen, wenn Banken Staatsanleihen halten, Beispiele.

Finanzielle Repression bezweckt, die Schuldenlast des Staates zu senken. Erreicht wird dieses Ziel in Kombination mit Inflation. So können sich negative, reale Zinssätze ergeben, die wie eine Steuer wirken. Der Anleger verliert, der Staat macht Gewinn aus seinen Schulden.

Eine Hochzeit finanzieller Repression waren die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg bis etwa 1980.  Reinhart und Sbranica schätzen, dass damals die Gewinne des Staates aus negativen, realen Zinssätzen in den USA immerhin 15-19% der regulären Steuereinnahmen betrugen. In Italien war dieser Gewinn sogar bedeutender als die regulären Steuereinnahmen.

In einem Beitrag habe ich einmal die vier grundsätzlichen Alternativen in der aktuellen Finanz- und Schuldenkrise aufgezählt. Es waren dies:

  1. Steuer- und Verteilungspolitik,
  2. Schuldenstreichung,
  3. Inflation,
  4. Revolution.

Ist „financial repression“ nun eine fünfte Alternative?

Finanzielle Repression wird zumindest versucht. Am auffälligsten sind in Europa die Garantien, die die EZB für die Staatsanleihen der Südländer gegeben hat. Für Politiker hat „financial repression“ den Vorteil, dass sie im Gewand technisch erscheinender Maßnahmen und Regulierungen daherkommt. Es ist kein Aufschrei wie bei Steuererhöhungen zu erwarten. Und Inflation ist zwar zusätzlich notwendig, aber nicht unbedingt Hyperinflation.

Auf den globalen Finanzmärkten von heute ist „financial repression“ allerdings weit schwerer durchzusetzen als in der von Kapitalverkehrskontrollen geprägten Welt von 1945. Wollen Politiker heute finanzielle Repression betreiben, müssen sie erst einmal die Möglichkeiten zur Kapitalflucht eindämmen. Man bräuchte einen sehr umfangreichen Katalog neuer Maßnahmen, damit die „financial repression“ wirkt. Ich persönlich halte es darum für wahrscheinlicher, dass sie nur als „Beimischung“ zu anderen Maßnahmen gegen die Finanz- und Schuldenkrise genutzt wird.

Für den Privatanleger mag die Beimischung aber reichen, damit er sich ausgepresst wie eine Zitrone vorkommt.


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7 Kommentare

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  2. Häschen sagt

    Vermutlich geht es den Geldanlagen bald an den Kragen.

    Recht sinnvoll ist meiner Ansicht nach die Beschneidung von erfolgreich investierten Privatkapital und dessen Erträgnissen nicht. Wir in .at führen ca. 25% der Spekulationsgewinne und Zinserträge an den Fiskus ab, letztere seit eh und jeh. Das trägt unter anderem auch zu einer sehr effizienten Sekundärverteilung bei, hat aber nicht verhindert, dass im Eck Vermögen die Verteilung weit schiefer ist als in .de zum Beispiel. Was ich nicht weiß – wie schaut die Vermögensverteilung der in über längere Zeit von exklusiv in Österreich Wirtschaftenden natürlichen Personen (wohl auch exportorientiert) aus. Ich vermute die Verteilung bleibt kompakter betrachtet man allein dieses Segment.

    Mir kam ja so vor, irren kann ich mich, dass Greenspan meinte – Wir sitzen in einer Liquiditätsfalle und Zinsen erhöhen hat nichts gebracht, somit gingen uns die Argumente aus – etwas salopp formuliert.

    Was ist die Alternative in diesem Fall, Geld raus dem System und auf einen zuletzt funktionierenden Zustand zurückführen. Was soll der Westen machen insbesondere Europa? Gehälter anheben alles verteuern und den EURO abwerten? Der Spielraum ist in jeder Richtung begrenzt.

    Nächste Runde der inneren Abwertung naht. Möglw. schaffen wir es auf breiter Front das Preisniveau zu korrigieren nach unten und die Rohstoffimporte zu verbilligen, damit könnte man zumindest den bestehenden Product Mix billiger finanziert anbieten. Türkei – Italien – Österreich – Deutschland mit z. B. Maschinenbau und Investitionsgütern hängen zwar von der Investitionsfreudigkeit ab, aber diese sog. ‚höherwertigen‘ Produkte lassen sich zumindest auf breiterer Front in neue Märkte einführen – Industrie ja das Modell ist auf das die Welt hinaus will. Die Karte können wir durchaus ein Zeiterl noch spielen. Das Ergebnis von Export im Übermaß ist ja hinlänglich bekannt … das wiederum begrenzt ja den Spielraum. Die Idee vom nachhaltigen Wachstum über Export hängt ja am seiden Faden des Bedarfs unserer Gläubiger und deren Geschick.

    Zumal die Staaten das Geld aufnahmen, hoffentlich mit der Absicht Wachstum zu finanzieren, müssen sie wohl oder übel die ‚Anleihen‘ wieder wegbekommen. Schulden steichen – heißt existierende oder zukünftige Guthaben streichen. Daran führt kein Weg so schnell vorbei. Das wird spannend, welcher Mix angewandt wird.

    Sie haben wohl recht, warum soll jemand Europa Negativzinsen ‚berappen‘ über längere Zeiträume? Das Geschäft läuft überall anders besser betracht man große Wirtschaftsräume und den (Aufhol)bedarf über die Jahre/Jahrzehnte.

  3. Auf den globalen Finanzmärkten von heute ist “financial repression” allerdings weit schwerer durchzusetzen als in der von Kapitalverkehrskontrollen geprägten Welt von 1945. Wollen Politiker heute finanzielle Repression betreiben, müssen sie erst einmal die Möglichkeiten zur Kapitalflucht eindämmen. Man bräuchte einen sehr umfangreichen Katalog neuer Maßnahmen, damit die “financial repression” wirkt.

    Im Grundsatz mag diese Aussage richtig sein, durch die Verflechtung der Finanz- und Gütermärkte ist die „financial repression“ von den führenden Wirtschaftsblöcken allerdings leichter international durchzusetzen als man denkt. Da mit den USA, Japan und Europa (inklusive Großbritannien) mehrere große Wirtschaftsblöcke eine ähnliche Politik der „financial repression“ verfolgen, hat dies durchaus starke Auswirkungen auf die anderen Länder.

    So haben z.B. die Schweiz und China ihre Währungen an den Euro und den Dollar festgezurrt, um dem Aufwertungsdruck, der durch Kapitalflucht entstehen könnte, entgegenzuwirken. Zusätzlich hat China bereits ziemlich effektive Kapitalverkehrskontrollen etabliert, die bereits wirken.
    Alles in allem sehe ich daher derzeit leider keine offensichtlichen Möglichkeiten, wie man als Sparer dieser Situation entkommen könnte.

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