Die Comdirect-Bank hatte für gestern Abend acht Journalisten, einen Blogger und Bert Rürup zu einem „Kamingespräch“ nach Frankfurt eingeladen. Das Thema der Runde war „Die Deutschen und die Angst vor Wertpapieren“. Der Blogger in der Runde war ich.
Warum der bekannte ehemalige Wirtschaftsweise Rürup eingeladen war, wurde schnell klar. Rürup glaubt nämlich daran, dass wir uns in einem „Jahrzehnt der Aktien“ befinden und das ist natürlich eine Botschaft, die bei den Leuten von der Comdirect, einer Bank, die einen Großteil des Geschäfts mit Aktienanlegern macht, gut ankommt.
Rürup sieht auch die Börsenturbulenzen der letzten Tage lediglich als „overshooting“, als Übertreibung. Die Sorge der Märkte vor einem Ende der Niedrigzinspolitik hält er für unbegründet. Die Ankündigung des Chefs der amerikanischen Zentralbank Ben Bernanke, bald kein neues Geld mehr für den Ankauf von US-Staatsanleihen zu schaffen, sei nicht als grundsätzliche Abkehr von der Politik des billigen Geldes zu verstehen.
Für Bert Rürup ist klar, dass schon allein deshalb die Zinsen nicht nur in Amerika niedrig bleiben werden, weil die Politik darauf angewiesen ist. Die Staatsschuldenkrise lasse sich nur mit einer Politik „finanzieller Repression“ bewältigen. Die niedrigen Zinsen, die damit verbunden sind, machen aber Aktien als alternative Anlageform interessant.
Wie man in meinen Blogartikeln nachlesen kann, ist meine eigene Meinung über das Thema gar nicht so weit von der Rürups entfernt. Etwas Zweifel habe ich, ob man die gewünschte finanzielle Repression auch tatsächlich über einen langen Zeitraum durchsetzen kann. Denn damit die Anleger tatsächlich bereit sind, bei Staatsanleihen Zinsen unter der Inflationsrate (und damit reale Verluste) zu akzeptieren, muss man ihnen nämlich immer wieder den Weg zu alternativen Anlagen verbauen. Das ist bei einem mehr oder weniger ungehindert fließenden weltweiten Kapitalverkehr nicht einfach. Und dies unterscheidet unsere heutige Zeit von der ersten Zeit finanzieller Repression, der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Diskussion gestern Abend drehte sich aber mehr um die Frage, warum die Deutschen trotz allem so wenig in Aktien investiert sind. Fehlende Bildung in Finanzdingen, ein schlechter Ruf des Aktienmarktes, Angst vor der hohen kurzfristigen Volatilität und mangelnde politische Unterstützung wurden als Gründe ausgemacht. Für den Comdirect-Mann Reitmeyer war auch ein Problem, dass es für Banken (bzw. ihre Angestellten) inzwischen aufgrund der umfangreichen Beratungshaftung problematisch geworden ist, Aktienanleger ihren Bedürfnissen entsprechend zu beraten.
Die Eurokrise war natürlich auch Thema. Das will ich aber hier nicht vertiefen. Nur eins: Ganz zum Schluss haben Bert Rürup und ich darüber gewettet, ob die Eurozone in vier Jahren größer ist als heute. Ich war natürlich der Meinung, dass das nicht der Fall sein wird und auch wenn Lettland demnächst beitreten wird, dafür andere Länder ausscheiden werden (müssen). Irgendwer meinte dann, eine Flasche Champagner müsse Wetteinsatz sein, aber ich denke, weder Bert Rürup noch ich werden den am 24.6.2017 nachhalten wollen.
Ich frag mich welche Antwort wohl die Ökonomie auf eine vernünftige Altersvorsorgestrategie für den Einzelnen angesicht des niedrigen Zinsniveau hat. Sollte er nicht besser seine Sparquote reduzieren eventuell damit verbunden auch seine Arbeitszeit, gleichzeitig auch damit seine Gesunheit fördern und sich als Ausgleich auf eine längere Lebensarbeitszeit einstellen. Aber was für den einzelnen erst mal vernünftig erscheint ist das dann wiederum nachteilig für die gesamte Gesellschaft wenn alle diese Strategie verfolgen die es sich leisten können. BIP geht zurück. Das würde sich wiederum nachteilig auf den einzelnen auswirken wäre das dann Netto eine Gewinn oder Verluststrategie….
@PotzBlitzDonner,
längere Lebensarbeitszeit anstatt mehr zu sparen, das ist ein interessanter Gedanke. Wird aber wohl eh kommen.
In einer Profession in der die Betrachtung der Vergangenheit schon eine Wissenschaft ist, wird die Prognose der Zukunft, die nie leicht war, fast zur Unmöglichkeit.
Aktien sind verbriefte Rechte. Die kann man relativ flexibel bewerten. Die Aktien in Europa sind an sich eher Anteile an Unternehmen mit stabilen Geschäften. In den U.S., das ist jetzt keine Kritik, ist ‚Aktie‘ ein Finanzierungsinstrument das zum Handel zugelassen – Finanzierung von Risikos durch die Öffentlichkeit. Es kann durchaus passieren, dass sich in einer Dekade in der alte Rezepte nicht mehr wirklich funktionieren und neue Produkte eher gefragt sind
a) viele Going Publics durchgezogen werden
b) dadurch eine Befeuerung der Aktienmärkte erfolgt
Schumpeter lässt grüßen.
Eine Aktie ist ja nicht der Anteil an physischen Teilen der Betriebsstätte. Anteil an der Passivseite einer Bilanz. Der Preis ist dann eher, wieviel ist der Einzelne bereit für die verbrieften Rechte, den daraus resultierenden Genuss und der mit dem Recht verbundenen Ausübung zu bezahlen. Ich tue mir mit der Definition Realgut hart die so mancherorts gebraucht wird. Gegenüber Giralgeld ist ein stärkeres Recht noch immer substantiell nachhaltiger.
Diese Dekade der Aktie unterscheidet sich bestimmt von anderen Dekaden der Aktie. Vermutlich viel mehr höheres Risiko finanziert über die Öffentlichkeit und damit verbunden höhere Chancen. Die Frage ist eher, welche Aktien. Wenn nicht ein massive Korrektur kommt, woher soll das Geld kommen?
Die Anglikaner glauben nicht mehr an die Universalbank und auch die Neuordnung des Bankensystems in Europa weist in diese Richtung – Bankenunion. Etwas knapp formuliert, die Kombination aus Bank die Spareinlagen verwaltet und Kredite an Unternehmen vergibt steht zur Disposition. Ein fundamentaler Wandel der auf den Weg gebracht wird.
Es könnte durchaus sein, dass Aktien als klassische Vertreter im Soge einer Neuausrichtung von Unternehmensfinanzierung*) ihren Teil abbekommen.
*)Ein Vertreter für kleinere Unternehmen/Produkte/Projekte wäre Crowd Funding.
Meiner bescheidenen Meinung nach beginnt ein Dekade der Aktien dann wieder, wenn zuvor eine ordentliche Korrektur kommt im traditionellen Umfeld. Das traditionelle Spiel, die Profis stoßen nicht nur die Kurse nach oben, sondern auch die Aktien in die Hände der Kleinanleger ab, die dann die Verluste hinzunehmen haben, den Hype generiert diese Dekade so schnell keiner mehr. Es wird etwas anderes sein und das Motiv sehe ich eher, wenn überhaupt, in einem geänderten Zugang zu Risiko und Unternehmensfinanzierung. Entweder großer Erfolg oder Pennystock. Das könnte durchaus blühen.
Vermutlich wird man halt wieder von einer Blase geheilt die Wunden lecken und außer Spesen nicht viel gewesen.
Aber eine Zeit der Übertreibung wie zu Zeiten des Neuen Markts so etwas wird nicht kommen. Wäre durchaus in unser aller Sinne. Derivate auf hochriskante zum Handel zugelassene aktienähnliche rechtliche Konstrukte die selbst enorme Chancen bieten, das wäre spannend, vom Hebel ganz zu schweigen.
Mal noch ein Nachtrag: Etwas, über das Montag Abend leider auch wenig gesprochen wurde, war die Entwicklung in den Schwellenländern. Wenn dem Aktienmarkt eine Gefahr droht, dann sicher nicht von Bernanke, sondern von dort.
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