Zwischenruf

Ist die Volkswirtschaft eine „menschenfeindliche Wissenschaft“?

Hörsaal_am_RheinMoselCampus

Rund um die Tagung des Vereins für Socialpolitik gab es eine Debatte darum, ob die Volkswirtschaftslehre mehr Pluralismus braucht. Die pointierteste Kritik an den VWLern kommt dabei von Norbert Häring. Der Wirtschaftsjournalist des Handelsblatts spricht von einer „menschenfeindlichen Wissenschaft“. So ist die aktuelle Debatte polemischer als frühere um dasselbe Thema, aber ansonsten weder neu, noch bringt sie etwas Neues.

Hier im Blog habe ich mich ja bereits mehrfach mit der Kritik an der Mainstream-Ökonomik beschäftigt. Auch aktuell ist wieder einmal der homo oeconomicus, der die VWL-Modelle bevölkert, der Stein des Anstoßes. Norbert Häring nennt ihn eine „hässlichen Kreatur“.

Nun, ein Sympathieträger ist der homo oeconomicus tatsächlich nicht. Eiskalt kalkulierend, nur auf seinen Vorteil bedacht und dazu noch jedem normalen Menschen an Wissen und Intellekt überlegen. Kein Wunder, dass man lieber auf Distanz geht.

Dass der völlig unsentimentale homo oeconomicus immer wieder heftige emotionale Abwehrreaktionen auslöst, scheint mir allerdings auch ein Indiz dafür zu sein, dass am homo oeconomicus mehr dran ist, als wir wahr haben wollen. Er ist vielleicht die ungeliebte und gerne verheimlichte Seite von uns selbst.

Vor allem, wenn wirtschaftspolitische Empfehlungen gemacht werden sollen, erscheint es mir fahrlässig, von einem optimistischeren Menschenbild auszugehen. Gesetze und Institutionen allgemein sollten robust gestaltet sein. Sie sollten also nicht anfällig für Missbrauch und Ausnutzung sein. Denn das bestätigt auch die Verhaltensökonomik, also der neuere und alternative Ansatz zum homo oeconomicus: Wenn viele Leute eine Regelung umgehen oder missbrauchen, dann fühlt sich der noch Gutwillige und Einsichtige wie ein ausgebeuteter Trottel. Er wird darum sein Verhalten überdenken und nun ebenfalls nach Möglichkeiten suchen, die Regelung zu umgehen oder zu missbrauchen.

Ansonsten schließe ich mich Christian Schubert in „Wirtschaftliche Freiheit“ an. Die Mainstream-Kritiker sollten meiner Meinung nach tatsächlich weniger lamentieren, sondern stattdessen ihre alternativen Ansätze weiter vorantreiben und sich mehr in aktuelle Diskussionen einmischen. Wo war denn diesen Sommer der alternative Ansatz in der Griechenland-Debatte? Die ja durchaus kontroverse Diskussion um Griechenland wurde ausschließlich zwischen Ordnungstheoretikern, Angebotstheoretikern und Keynesianern geführt. Das ist nicht alles Mainstream, aber zumindest alteingesessen.

Geh nicht ohne Gruß, empfiehl bitte den Beitrag weiter!

Foto: Hochschule Koblenz, Hörsaal am Rhein-Mosel-Campus


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /home/www/wp-includes/class-wp-comment-query.php on line 405

38 Kommentare

  1. Marc sagt

    @Andreas

    Die keynesianischen Modelle sind ja schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Aber auch sie stützen sich auf ein unhaltbares Axiom: Die ökonomische Beziehung zwischen A und B unterscheidet sich nicht systematisch von A und C. Um die Bedeutung zu erklären hole ich etwas weiter aus.
    Wenn Geld Wasser wäre, könnten die (neo-)klassischen Modelle einen Ozean beschreiben. Wenn Wasser zugeführt wird, dann steigt der Wasserspiegel. Wird es komplexer, versagen die Modelle. Die (neo-)keynesianischen Modelle kennen die Bedeutung von Budgets, sie haben aus dem Ozean also eine Seenlandschaft gemacht. Aber sie vermessen nur mit den herkömmlichen Mitteln den Wasserstand der Seen. Die entscheidende Dynamik spielt sich aber nicht in den Seen ab, sondern zwischen ihnen. Welche Zu- und Abflüsse gibt es, wie ist das Fassungsvermögen der Flüsse und wann laufen sie über. Halten die Staumauern oder können sie von den angestauten Risiken weggespült werden.
    Die Stochastik kann diese Fragen nicht beantworten, weil sie nicht die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt. Die Information auf die es ankommt, die Qualität der Wirtschaftsbeziehung, wird durch das Aggregieren vernichtet. Aus diesem Grund scheitern auch die keynesianischen Modelle an der Realität.

    Würde die Ökonomie wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, müsste sie, bevor sie ihre Modelle anwendet, die Voraussetzungen prüfen. Das kann sie nicht machen, weil dabei würde sichtbar, dass sie nicht zutreffen. Der Zugriff auf das Geld zwischen Anbietern und Nachfrager ist systematisch ein anderer. Märkt unterscheiden sich daher im Zugriff auf das Geld und die jeweilige Umlaufgeschwindigkeit des Geldes eines Marktes differieren systematisch und zeitlich stabil. Die ökonomischen Beziehungen zu anderen Märkten der Anbieter eines Marktes unterscheiden sich systematisch und zeitlich stabil von denen der Nachfrager. Wenn also das Geld zwischen den Akteuren nicht annähernd gleichverteilt fließt, ist es nicht neutral. In einer modernen Wirtschaft mit ihren ausdifferenzierten Märkten und anderen wirtschaftsbeziehungen ist die Neutralität des Geldes nicht mehr erfüllt und die stochastischen Modelle der Klassik und des Keynesianismus dürften nicht angewandt werden. Um die Dynamiken einer modernen Wirtschaft wissenschaftlich korrekt erfassen zu können, ist es daher alternativlos, dass sich die Ökonomie anderen mathematischen Ansätzen öffnet. Sie muss die ausdifferenzierten und komplexen Wirtschaftsbeziehungen zumindet grob modellieren können. Dazu sind kybernetische oder systemische Ansätze nötig.

    Ich kritisiere nicht die Unsicherheit der Prognose, die kann man nicht abschaffen. Ich kritisiere den falschen mathematischen Methoden der Ökonomie, die eine nicht hinnehmbare Qualität produzieren. In Bezug auf die Inflation weiß die Ökonomie nicht einmal, in welche Richtung sie sich entwickelt, weder kennt sie die fehlerwahrscheinlichkeiten ihrer Prognosen. Ein Arzt kennt die Güte seiner Prognose, weil er auf fundierte Studien zurückgreifen kann.

  2. @Marc,
    langfristig gilt auf jeden Fall Geldneutralität.
    „Die klassischen Modelle der Ökonomie gehen von einem harmonischen Gleichgewicht aus. Die harte Realität ist eine andere: unbeherrschabre Dynamiken.“ – Da bin ich ja voll und ganz auf deiner Seite. Ob allerdings eine andere Mathematik die Lösung bringt, weiß ich nicht. Es gibt ja auch nicht-mathematische Ansätze, z.B. das Studium der Wirtschaftsgeschichte.
    @Andreas,
    das Problem ist doch, dass wir in Deutchland Nullzinsen haben, weil Griechenland die braucht.

  3. Marc sagt

    @Arne Kuster

    Stochastische Methoden eignen sich schlecht zum Auspüren oder zur Analyse von Dynamiken. Die Stärke dieser Methoden ist in einem Rauschen nach signifikanten Signalen suchen zu können. Im Gegenteil, liegen bekannte Einflüsse vor, welche die Verteilung der untersuchten Merkmale systematisch verzerren, wie dies bei Dynamiken der Fall ist, dann dürfen stochastische Methoden nicht mehr angewandt werden. Wer also Dynamiken in der Wirtschaft erforschen will und an den stochastischen Modellen festhält, handelt widersprüchlich.
    Die Behautung der Geldneutralität ist die einzige Möglichkeit, die Dynamiken auszublenden und an den stochastischen Modellen noch festhalten zu können.

    Nachtrag: Das Geld kennt auch einen nicht dynamischen Zustand, in diesem Fall verhält es sich neutral und die klassischen Modelle funktionieren. Ich bezeichne sie daher als Schönwettermodelle. Um gleich die Hoffnung zu zertören: In der Moderne wird das schöne Wetter zu Ausnahme werden. Wenn man Allwettermodelle haben will, ist die Abschaffung der Geldneutralität eine Alternativlosigkeit.

Kommentare sind geschlossen.