Analyse

Die Opportunitätskosten der Flüchtlingskrise

Demonstrierende_Asylanten_in_Berlin_2013-10-15

In der Süddeutschen rechnet der Wirtschaftsjournalist und Ökonom Thomas Fricke die Kosten der Flüchtlingskrise herunter. Leider zeigt sein Stück nur, wie wenig er ökonomisches Denken beherrscht. Das zeichnet sich nämlich vor allem dadurch aus, dass es ein Denken in Alternativen ist. (Teil 2 findet sich hier.)

Aber Thomas Fricke hat schon früher häufiger bewiesen, dass er volkswirtschaftliche Ideen gerne stark verkürzt und dabei gleichzeitig so verabsolutiert, dass am Ende nur noch provokanter Blödsinn herauskommt. 2013 z.B. meinte er, „in einer Finanz- und Bankenkrise geht es darum, alles zu garantieren, was irgendwie zu wackeln beginnt.“ Dabei machte er sich weder Gedanken um die Kosten noch um die Nebenwirkungen seines Vorschlags. Für einen Ökonomen ist das schwach.

Echtes ökonomisches Denken zeichnet sich durch eine möglichst vollständige Kosten-Nutzen-Analyse aus. Und es zeichnet sich durch den Vergleich von Alternativen aus. Für beides, die Kosten-Nutzen-Analyse und das Denken in Alternativen, steht sehr prominent:

Das ökonomische Konzept der Opportunitätskosten

Das Konzept ist eigentlich sehr einfach und einleuchtend und es wird doch im Alltag und in Medien wie der Süddeutschen ständig vernachlässigt. Kein Wunder, wenn selbst Ökonomen wie Fricke es nicht anwenden.

Das Konzept der Opportunitätskosten besagt, dass die Kosten einer bestimmten Sache nicht nur darin bestehen, was man für sie bezahlt, sondern auch darin, was einem durch sie entgeht. Man erklärt das am besten durch ein Beispiel:

Wenn eine Kreissparkasse ein eigenes Bürohaus in bester Innenstadtlage nutzt, dann muss sie keine Miete zahlen, von dieser Seite her sind die Kosten 0. Aber es gibt Opportunitätskosten, denn die Kreissparkasse könnte das Bürohaus auch vermieten. Die entgangenen Einnahmen aus der Vermietung sind also die Opportunitätskosten der Eigennutzung. Berücksichtigt man diese Opportunitätskosten, ist es für die Kreissparkasse vielleicht billiger, dass Innenstadtbürohaus zu vermieten und selbst ein Bürohaus in weniger exponierter Lage anzumieten.

Wichtig: Um die Opportunitätskosten zu ermitteln, muss man die Alternativen und ihre Kosten und Nutzen ermitteln. Die Höhe der Opportunitätskosten wird dann durch die bestmögliche Alternative bestimmt.

Die Kosten der Flüchtlingskrise

Wer mir soweit gefolgt ist, der sollte jetzt Thomas Frickes Stück „Die Flüchtlingskrise finanziert sich fast von selbst“ in der Süddeutschen lesen. Fricke schätzt die deutschen Kosten der Flüchtlingskrise auf 20 Milliarden € allein 2016. Es gibt auch andere Zahlen, aber ich will mich mit ihm nicht um diese Zahl streiten, sondern um seine weitere Argumentation. Fricke rechnet vor, dass durch die Ausgaben für Flüchtlinge das deutsche BIP um 15 Milliarden € steigt und dies wiederum zu mehr Steuereinnahmen führt. Im Endeffekt landet er bei Nettokosten von unter 10 Milliarden €.

Mal abgesehen davon, dass man zur Finanzierung von 10 Milliarden € Mehrkosten bereits die Mehrwertsteuer um etwa ein Prozentpunkt erhöhen müsste, es fehlt bei Fricke völlig das Denken in Alternativen. Holen wir das nach. Fangen wir gleich mit der erstbesten Alternative an. Nehmen wir an, dass der Staat die 20 Milliarden € nicht für Flüchtlinge ausgibt, sondern für Investitionsruinen wie das Projekt „Nürburgring 2009“. Für 20 Milliarden € könnte man etwa 60 Investitionsruinen wie „Nürburgring 2009“ staatlich fördern

Auch Investitionsruinen haben einen volkswirtschaftlichen Nutzen. Konkret machen durch Projekten wie „Nürburgring 2009“ Bauunternehmen Gewinne und Bauarbeiter verdienen damit ihren Lohn.  Das BIP ließe sich durch komplett sinnlose Investitionsruinen wahrscheinlich ähnlich steigern wie durch die Ausgaben für Flüchtlinge. Der volkswirtschaftliche Nutzen wäre also gleich.

Damit ist klar, wie Thomas Frickes Rechnung einzuordnen ist. Unklar nur, warum die Süddeutsche solche Stücke veröffentlicht. Unklar auch weiterhin die wahren Opportunitätskosten der Flüchtlingskrise. Denn 60 Investitionsruinen sind wohl nicht die beste volkswirtschaftliche Alternative, um 20 Milliarden Steuergelder zu verwenden. Wirklich gute und notwendige Alternativen, die aber wohl nun wegen der Flüchtlingskrise nicht verwirklicht werden, diskutiere ich in einem Fortsetzungsartikel („Gute Alternativen zur herrschenden Politik“).

Geh nicht ohne Gruß, empfiehl bitte den Beitrag weiter!

Foto (von Fraktion Die Linke im Bundestag): Demonstrierende Asylanten


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8 Kommentare

  1. Die Argumentation mit den Opportunitätskosten ist völlig richtig. Leider eine Denke, die in der Politik sehr unüblich ist, das Fehlen bei Ökonomen ist eher noch schlimmer. Bis dahin ist dein Artikel völlig richtig.

    ABER:

    Wer immer nur auf volkswirtschaftlichen Nutzen schaut, schaut zu kurz. Er liegt daher genauso weit daneben wie ein Ökonom, der Opportunitätskosten ignoriert. Das führt dann zum Vergleich der aktiven Hilfe für eine Millionen Menschen mit 60 Nürburgringen. Als wenn das eine mit dem anderen auch nur annähernd vergleichbar wäre. Die ökonomische Debatte über die Kosten der Flüchtlingskrise geht völlig am Kern vorbei. Es geht darum, Menschen zu helfen. Und die ist notwendig, außer man will sich selber jede Menschlichkeit, jede Empathie absprechen.

    Man muss das komplett anders sehen: Mit einem BIP-Aufwand von 0,3 oder von mir aus auch 0,5% können eine Millionen Menschen aus einer existenz- oder gar lebensbedrohlichen Krise gerettet werden.

    Aber was red ich über Menschen. Es geht um’s BIP, stupid. Wen interessieren schon Menschen?

    (und ganz nebenbei: Das Entweder-Oder ist in diesem Zusammenhang ist auch neben der Spur, denn bei einem Haushaltsüberschuss von 19 Milliarden Euro und Nullzinsen ist die Finanzierung auch aller anderen sinnvollen Projekte, die du noch vorstellen willst, problemlos möglich. Aber das nur am Rande)

  2. @egghat,
    ich hab mit dieser Kritik gerechnet. Aber
    1. Warte noch mal den angekündigten Teil 2 zum Thema ab!
    2. Ich finde es zwar falsch, die Flüchlinge IN DEUTSCHLAND zu betreuen, aber wer das aus humanitären Gründen will, sollte das dann auch so vertreten und nicht wirtschaftliche Argumente vorschieben, die gar nichts speziell mit dem Flüchtlingstrom zu tun haben. Insofern kann ich mit deiner Kritik gut leben.
    3. Auch Hans-Werner Sinn hat neulich beklagt, dass ihm in Talkshows häufig Inhumanität vorgeworfen wird, bloß weil er auch mal ab und zu mit Zahlen argumentiert. Nun kann ich mich dank deiner Kritik als ebenbürtig mit Hans-Werner Sinn fühlen. Danke!

  3. Jimmy sagt

    Ich hätte eine gute Idee mal das Umfeld E.U. auf den Weg zu bringen. Wir verlegen die Institution von Brüssel nach Athen in die angebliche Wiege der Demokratie. Im Rahmen des Umzugs wandern sämtliche E.U. Beamte und politisch Verantwortliche begleitet von ihren Mitstreitern aus den Staaten barfuß umhüllt allein von den Kleidern des Büßers nach Straßburg.

    Damit das Prozedere auch den Charme einer Wanderung am Jakobsweg beibehält auf den Rücken gepackt die Last der gesamten Richtlinien und Regelwerke die sie auf den Weg gebracht haben in Papierform.

    https://www.youtube.com/watch?v=Ha-GlyXg1e0

    Zum Thema: Die öffentl. Hände sind keine Unternehmer. Sie können einen Konsumkredit aufnehmen und eine Besicherung errichten lassen. Das beste, das rauskommen kann, ist eine Besicherung mit Hebelwirkung – das Realwachstum beflügelnd. Bei konstanten Preisen hilft dem Staat (den öffentl. Händen) nurmehr Realwachstum. Bleibt noch immer die Frage, ob Realwachstum überhaupt seriös ermittelbar ist. Wenn die Ermittlung nicht mehr möglich ist, dann bleibt nurmehr wie im Artikel beschrieben die Festlegung einer Marschrichtung aus umfassender Sicht auf die ‚vermeintliche‘ Investition unter Abwägung der Opportunitätskosten. Besser wird man nicht mehr.

    Deswegen halt mich ich persönlich im an, wenn sich etwas ‚gscheit‘ (klug) anhört ist es besser man macht es. Wer voranschreitet, scheitert im Mittel nach 5 Jahre vermutlich früher. Wer 10 Jahre wartet verliert 5 oder mehr.

    Sie haben vermutlich ein besseres Wissen über konkrete ’scheite‘ Vorhaben. Ich bin schon gespannt was kommt. Mir fällt im Moment nicht viel mehr ein als ‚Neu‘ im Moment. ‚Neu‘ im Sinne vor wirklich erstmalig oder auch

  4. Stefan Rapp sagt

    Zu dem Gesamtthemenkomplex finde ich auch den Beitrag von Hans Werner Sinn in der WELT sehr gelungen:

    http://www.welt.de/wirtschaft/article152864656/Es-ist-Aufgabe-der-Kanzlerin-Staatsgebiet-zu-schuetzen.html

    Wichtig auch mal die vielen tausend Tote zu erwähnen die gerade wegen der Flüchtlingswelle entstanden sind. Ob das Netto betrachtet überhaupt wirklich human ist, was da Teile von Europa insbesondere Deutschland sich leistet ist fragwürdig.
    Apropos Humanitätopportunitätskosten: Für 20 Milliarden können die SOS-Kinderdörfer 55 Millionen Kinder ein Jahr verpflegen ihnen Kleidung und Schulbildung und Betreuung ermöglichen. Unserem Ausenhandelsüberschuss würde das auch nichts schaden.

  5. Ja, Hans-Werner Sinn war in letzter Zeit in Topform, auch der FAZ hat er ein gutes Interview gegeben: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/ifo-praesident-hans-werner-sinn-redet-ueber-fluechtlinge-14098916.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2&sref=https://delicious.com/wirtschaftswurm

    Nur gerade jetzt, wo die Europäer heillos zerstritten sind, ein neues Projekt wie eine Verteidigungsunion anzufangen, ist völliger Unsinn. Der Blogger Llarian auf „Zettels Raum“ hat letztens zu jedem Versuch die EU zu vertiefen einen passenden Vergleich gebracht: Das ist wie ein zerstrittenes Ehepaar, das nun die Ehekrise überwinden will, indem es gemeinsam ein Kind in die Welt setzt. Das geht garantiert schief: http://zettelsraum.blogspot.de/2016/01/ist-angela-merkel-die-totengraberin-von.html

  6. Jürgen sagt

    „Man muss das komplett anders sehen: Mit einem BIP-Aufwand von 0,3 oder von mir aus auch 0,5% können eine Millionen Menschen aus einer existenz- oder gar lebensbedrohlichen Krise gerettet werden.“

    Nun ja, man kann es aber auch so sehen, dass mit dem gleichen Geld sehr viel mehr Menschen vor Ort (d.h. in den Lagern in der Türkei, Libanon etc.) hätte geholfen werden können. Und nicht vergessen sollte man auch, dass viele keineswegs in einer lebensbedrohlichen Situation waren, bevor sie sich auf den Weg ins gelobte Land, wo Sozialhilfe und Wohltaten fließen, gemacht haben, sondern einfach nur ein besseres Leben wollten. Kann man ihnen nicht verdenken, d.h. aber nicht, dass wir dafür Geld geben müssen. Insofern ist das Nachdenken über Alternativen bzw. Opportunitätskosten durchaus sinnvoll.
    Was die Syrer betrifft, die ca. 1/3 der „Flüchtlinge“ ausmachen, sollte man auch nicht vergessen, dass die irgendwann für den Wiederaufbau ihres Landes gebraucht werden und i.d.R. nicht hier. Sorry, wenn das jetzt hart klingt, aber ein kaputtes Land baut sich nicht von alleine auf. Wir Deutschen sollten das eigentlich wissen.

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