Wirtschaftswurm-Blog

Jugendarbeitslosigkeit in Europa – Die Daten einmal gegen den Strich gebürstet

Jugendarbeitslosenquoten in Prozent der Arbeitslosenquoten Älterer

Der britische „The Economist“ analysierte jüngst die Beschlüsse des EU-Gipfels von Anfang Juli zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Den europäischen Staats- und Regierungschefs wirft er dabei eine falsche Analyse des Problems und zu viel Vertrauen in das deutsche Vorbild vor. Doch „The Economist“ liegt falsch.

Für die britischen Journalisten ist das Hauptproblem die Rezession. In der Tat hat es sich schon bis zur Wikipedia herumgesprochen, dass die Jugendarbeitslosenquote noch stärker als die allgemeine Arbeitslosenquote von der Konjunktur abhängig ist. Auch die Wirtschaftstheorie unterstützt diese Sicht.

So unterscheiden einige Arbeitsmarkttheorien zwischen Insidern und Outsidern. Zu den Insidern zählt die gut eingearbeitete Stammbelegschaft, zu den Outsidern dagegen z.B. Jugendliche, die frisch auf den Arbeitsmarkt strömen.

Gehen die Aufträge zurück, vermeiden Unternehmen zunächst Entlassungen bei den Insidern. Umgekehrt stellen sie bei wieder steigender Produktion eher zögerlich Outsider ein. Stattdessen versuchen sie zunächst, das gestiegene Auftragsvolumen mit ihrer Stammbelegschaft zu bewältigen.

Die Gründe: Zum einen würden Entlassungen die verbleibende Stammbelegschaft demotivieren und damit vielleicht ihre Produktivität senken. Zum anderen verursachen Neueinstellungen zusätzliche Kosten für die Suche, Auswahl und Einarbeitung der Mitarbeiter.

Die Outsider (also die Jugendlichen) haben also während einer Rezession und noch einige Zeit danach nur geringe Chancen auf einen Arbeitsplatz.

Tatsächlich steigt die Differenz zwischen der Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen und der Arbeitslosenquote der Älteren meistens in einer Wirtschaftsrezession. Wenn also die Arbeitslosenquote Älterer um einen Prozentpunkt steigt, steigt die der unter 25-Jährigen vielleicht um zwei oder drei Prozentpunkte.

Anders sieht das aber aus, wenn man nicht die Differenz berechnet, sondern den Quotienten. Das legt zumindest eine erste Übersicht über den jeweiligen Quotienten zwischen der Arbeitslosenquote der unter 25 Jährigen und der der Älteren nahe. Für diese Übersicht habe ich Eurostat-Daten der zwölf größten EU-Staaten für vier verschiedene Jahre (2004, 2007, 2010, 2012) und damit vier verschiedene konjunkturelle Situationen ausgewertet.

Die folgende Tabelle und das nachfolgende Diagramm zeigen die Arbeitslosenquote der unter 25 Jährigen, gemessen in Prozent der Arbeitslosenquote Älterer.

2004 2007 2010 2012
Belgien 303% 298% 320% 309%
Deutschland 137% 145% 148% 156%
Frankreich 263% 279% 291% 283%
Griechenland 309% 323% 296% 249%
Italien 362% 414% 397% 397%
Niederlande 209% 241% 235% 211%
Polen 246% 267% 293% 312%
Portugal 315% 268% 261% 269%
Rumänien 339% 410% 381% 405%
Spanien 234% 260% 231% 234%
Tschechien 291% 223% 286% 325%
Vereinigtes Königreich 367% 397% 338% 368%

Jugendarbeitslosenquoten in Prozent der Arbeitslosenquoten Älterer

Jugendarbeitslosenquoten in Prozent der Arbeitslosenquoten Älterer

Man erkennt, dass die Relationen über die Jahre hinweg meistens erstaunlich stabil bleiben. Das gilt z.B. auch für die zur Zeit von besonders hoher Jugendarbeitslosigkeit geplagten Länder Spanien, Italien oder Portugal. So schwankt in Spanien die Jugendarbeitslosenquote relativ wenig um das 2,4-fache der Arbeitslosenquote Älterer. In Griechenland war der Quotient sogar während des Boomjahres 2007 mit 323% besonders hoch und ist in der langen Rezession danach auf 249% gesunken.

Viel wichtiger für die Relation der Arbeitslosenquoten als die augenblickliche Konjunkturlage ist offensichtlich das Land. So hatte Deutschland, auch als es 2004 als der kranke Mann Europas galt, eine relativ niedrige Jugendarbeitslosigkeit. Im Durchschnitt der vier betrachteten Jahre liegt der Quotient in Deutschland bei 146%.

Belgien, Frankreich, Griechenland, die Niederlande, Polen, Portugal, Spanien und Tschechien liegen meistens im Mittelfeld. Drei sehr unterschiedliche Staaten aus unterschiedlichen Gegenden Europas bilden dagegen die Schlusslichter. In Großbritannien beträgt die Jugendarbeitslosenquote durschnittlich das 3,7-fache der Arbeitslosenquote Älterer, in Rumänien durchschnittlich das 3,8-fache und in Italien sogar durchschnittlich das 3,9-fache.

Zu den politischen Konsequenzen aus diesen Ergebnissen komme ich in einem weiteren Artikel in dieser Woche.


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7 Kommentare

  1. Maus sagt

    Zum Thema Jugendarbeitslosigkeit vom Gesichtspunkt einer Statistik glaube ich, dass auf dem Blog Propagandafront ein Chart gezeigt wurde, der aufzeigt, dass es ab Anfang der 70iger es so richtig bergauf ging. Schwankungen inbegriffen.
    Man müsste die Quelle prüfen. Meine Meinung ist die, dass „leicht eingeheimstes Geld“ dazu verführt herbeizukommen. Nicht wie in einem Wirtschaftsaufschwung zur Zeit der industriellen Revolution und des Liberalismus wo zu viele Menschen zuwanderten auf der Suche nach Arbeit, sowie die bessere Versorgung durch Lebensmittel immens viele Kinder hervorbrachten. Gewiss war die Situation damals neu für die Menschen und daher nicht ihrerseits nicht einschätzbar. Die explodierende Bevölkerung konnte damals nicht mehr befriedigt werden. Heute macht das der Staat durch Schulden. Das Ergebnis könnte dasselbe sein. Jedoch liegt der Vorteil in den nicht extrem explodierenden Bevölkerungszahlen. Jedoch sieht man eine Verlagerung des Konfliktes.

    Da die Konjunktur seit längerer Zeit (anfang der 90iger) eine Staatskonjunktur ist, aber auch eine durch immens vermehrte Schulden und daher Guthaben aufgebaute….

  2. Maus sagt

    Die Sozialkosten sind das Äquivalent zu den Kriegskosten der USA. Denn ohne diesen Schirm wären die Gegebenheiten in Europa nicht möglich. Europa hat diesen Vorteil einfach verfressen, wie viel Vorteile z.B. Schülerrückgang.

    Das wollte ich noch Anmerken.

  3. Häschen sagt

    Die Illusion ist, dass man Arbeitsplätze kann generieren. Job Creation. Schnell geht gar nichts. Wenn man die Stunden anschaut die anfallen bei den neu generierten Jobs, dann erkennt man schnell, dass die Summe sinkt. Angelsachen verkaufen die Arbeitsleistung – Mensch … Material. In .de und .at sind Unternehmen teils Teil der Einkommensumverteilung – partielle Sekundärverteilung auf kosten des Kapitals. Es geht nicht anders. Bis auf die Angelsachsen, glaubt auch keiner, dass es anders geht, aber die bestimmen die Globalisierung.

    Sie können nicht das angelsächsische Wirtschaftsdenken auf gefestigte industrielle Strukturen übertragen, tun sie auch nicht aber der Economist. Die Idee, die Wahnvorstellung – es gäbe immer etwas zu produzieren, man müsste allein nur keine Rahmenbedingungen schaffen – an der leiden alle Angelsachen.

    In .de und .at wurde das Problem anders gelöst aus unterschiedlichen Motiven.

    In .de sagt der Unternehmen, ich halte meine Mitarbeiter nicht mehr aus – kauft mir eine Maschine und alle laufen hektisch um die Maschine herum. Der Chef setzt sich ins Büro und sagt, ‚Gott Sei Dank, sie sind beschäftigt‘. Damit das ganze sehr dynamisch wirkt braucht man junge Mitarbeiter, damit im Schnitt alle schneller laufen.

    In Österreich kommt der Antrieb von der Arbeitnehmerseite. ‚Mei da muss sich viel bewegen, Chef bringe eine Maschine‘. Der Chef bringt die Maschine mit dem Hinweis, ‚Wenn ihr schon den ganzen nichts tut, dann passt wenigsten drauf auf, dass sie nicht kaputt wird.‘ Gesagt getan, wir setzen uns vor die Maschine und schauen selbiger beim Arbeiten zu. Irgendwann geht ein Zuschauer in Pension und damit es nicht fad wird, wird ein Junger eingestellt. Zumal man einfach nicht ein ganzen Tag sitzen kann und der Maschinenlärm stört, geht man als Team ins Besprechungszimmer. Industrie 4.0 wird in Österreich damit enden, dass jene die der Maschine bei der Arbeit zuschauen durch Roboter ersetzt werden. Es ist Tradition in .at, Arbeit systematisch in Richtung Management zu verlagern und dort zu automatisieren. Wir verkaufen sogar noch die wachsende Bürokratie als steigendes Volkseinkommen. In Summe – die Betreibergesellschaft einer vollautomatisierten Bürokratie, haben aber für den Tag der niemals kommt alle Reserven getankt. Wir weichen …
    http://www.youtube.com/watch?v=YjvZk6id47s

    Historischen Wurzeln:
    Franz: Bitte verzeih mir! Lissi, der Durchschlag hat unsere Liebe gerettet.
    Lissi: Es lebe die Bürokratie! Oh Franz!
    (Lissi und Der Wilde Kaiser)

    Etwas humoristisch aufbereitet.

    Ich denke mal in .at und .de hat das viel damit zu tun, dass wir immer zu wenig Arbeitskräfte hatten, aber nach dem Krieg einfach junge Mitarbeiter einstellen mussten. Österreich hat nie eine Bevölkerungsanzahl gehabt, die es erlaubt hätte das ganze Geld das im Land war mit volkswirtschaftlicher Gesamtleistung zu hinterlegen. Deswegen haben wir einen Finanzierungsaufwand per capita, der alle Rekorde schlägt – sog. Wohlstand. Das kann kein Mensch erarbeiten, also ist der Zwang zur Substitution enorm. Für die konsequente Anwendung des Substitutionsprinzips braucht die Wirtschaft junge Menschen. ‚Alte Deppen‘ haben keine neuen und schon gar keine revolutionären Ideen, die haben andere Stärken, sie sorgen für Stabilität. .de und .at, die an sich viel müssen importieren und exportieren brauchen frische Ideen, egal wie gut oder wie schlecht.

    Unternehmer agieren nicht wie Volkswirte sich das ausdenken, deswegen funktioniert ja Wirtschaft noch.

    Dienstleistung ist begrenzt durch die Messung entlang der geleisteten Stunde auf max 24 Stunden pro Tag. Sobald es ein linearen Zusammenhang gibt zwischen eingesetzter Zeit und Umsatz gibt und die Lösung in Summe nicht effektiver wird, dann ist die Dienstleistungbranche fehl am Platz. Eine Industrie kann aber nicht auf Dauer soviel substituieren, sodass aktive Fehlallokation (Finanzdienstleistungssektor) auch noch kompensiert wird. Was in den EURO Ländern passierte und jetzt in den U.S. ist nichts anders als würde man beiden dem Virenprogrammierer seine Leistung und dem Virenscannerhersteller seine Programme vom Staat finanziert abkaufen. Das kann man ewig finanzieren, dafür braucht man kein frisches Blut im Unternehmen, bis jemand den Stecker zieht.

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  7. Allgemeine Begriffsverwirrung

    Als Folge der völligen Verkennung des Charakters unserer Wirtschaft müssen sich Widersprüche zwischen Wirtschaftstheorie und -praxis ergeben. Wenn man die Lehrsätze der Ökonomen, die für eine Wirtschaft der freien Konkurrenz gelten, auf eine Praxis überträgt, die alles andere als eine Wirtschaft der freien Konkurrenz ist, so können sie unmöglich mit der Erfahrung übereinstimmen. Die Berufsökonomen haben irriger Weise eine freie Wirtschaft angenommen, d. h. den freien Wettbewerb für verwirklicht gehalten und diesen Irrtum ganz allgemein zu verbreiten gewusst. Heute wissen wir, dass sich die Wirtschaftswissenschaft tatsächlich geirrt hat. Nicht etwa, dass ihre Schlussfolgerungen nicht gestimmt hätten. Nein, es ist vollkommen richtig, dass eine freie Wirtschaft zu einer dauernden Harmonie von Angebot und Nachfrage, zur Vollbeschäftigung, allmählichen Zinssenkung, ansteigenden Reallöhnen und Wirtschaftsblüte führen muss. Nur die Voraussetzungen bestehen nicht. Was man für eine Wirtschaft der freien Konkurrenz gehalten hat, ist eben keine freie, sondern eine Monopolwirtschaft. Eine solche kann begreiflicherweise die günstigen Auswirkungen, die man von einer freien Wirtschaft mit Recht erwarten darf, nicht erfüllen!

    Die schwerstwiegenden Folgen ergaben sich, als die Politik sich des Widerspruchs bemächtigte. Man machte für die üblen Folgen der Monopolwirtschaft, für die wiederkehrenden Wirtschaftsstörungen, Krisen, Dauerarbeitslosigkeit, chronische Unterbeschäftigung, für die sozialen Missstände, die Verarmung der breiten Massen, die Proletarisierung des ehemaligen Mittelstandes usw. die – nicht existierende – freie Wirtschaft verantwortlich. Man warf und wirft der Wirtschaftswissenschaft vor, die von ihr gepriesene und nach ihrer ausdrücklichen Erklärung verwirklichte „freie Wirtschaft“ tauge nichts, habe nicht gehalten, was man sich von ihr versprochen habe und führe, anstatt zur vorausgesagten Wirtschaftsblüte und Harmonie, zu unerträglichen wirtschaftlichen und sozialen Missständen. Das Heil liege in einer staatlichen Planwirtschaft, in einer rigorosen Einschränkung, wenn nicht gar Abschaffung der privaten Unternehmertätigkeit, in einer Abkehr von der „freien“ Wirtschaft. Andere politische Richtungen wieder verweisen auf die zahlreichen Übelstände der staatlichen Planwirtschaft und fordern die „Rückkehr zur freien Wirtschaft“ – die es noch nie gegeben hat -, kurzum: die Begriffsverwirrung ist allgemein.

    Marktgerechtigkeit

    Die allgemeine Begriffsverwirrung besteht seit Jahrtausenden! Ihre Ursache ist die Religion:

    Die Rückkehr ins Paradies

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