„Ist der Finanzsektor zu groß?“, hatte ich vor gut einem Monat die Wirtschaftsblogger gefragt und damit eine Blogparade gestartet. Sieben Blogger haben Antworten gegeben, zum Teil sogar mehrere Artikel zum Thema geschrieben. Das sind mehr als ich erwartet habe. Auch die Qualität der Beiträge ist beachtlich. Im Folgenden nun ein mit meinen eigenen Wertungen gemischter Überblick über die Beiträge der Wirtschaftsblogger.
Interessanterweise drücken gleich vier der sieben Blogger, nämlich Benjamin Schäfer, Dirk Elsner, Wirtschaftsphilosoph und Patrick Seabird, Vorbehalte gegen meine Fragestellung aus. Am schärfsten formuliert hier Benjamin: Die Frage sei unpräzise, unwissenschaftlich und dazu noch suggestiv.
Nun, Suggestion habe ich nicht beabsichtigt, eine gewisse Unschärfe allerdings schon. Ich wollte den Bloggern Freiraum lassen, die Frage selbst zu präzisieren, selbst zu überlegen, welcher Aspekt des Finanzsektors wichtig ist.
Patrick Seabird hat noch andere Bedenken: Beantwortet man „Ist der Finanzsektor zu groß?“ pauschal mit Ja, könnte man auf gefährliche Ideen kommen. Er verweist auf Kambodscha, die Roten Khmer. Die hatten in den 70er Jahren gemeint, die Städte sind zu groß, und die Städter mit äußerster Brutalität und verheerenden ökonomischen Konsequenzen aufs Land getrieben und zu Landarbeit gezwungen.
Patricks Einwand mahnt eindringlich Bankenkritiker zu einer differenzierten Betrachtung. „Auch der Finanzsektor ist produktiv.“ Das stimmt. Andererseits reicht mir Patricks „Wir haben ihn so groß gemacht“ nicht als Rechtfertigung. Nicht alles, was geschaffen wurde, war wirklich so gewollt. Man denke an Dr. Frankenstein.
Zu große Komplexität etwa kann dazu führen, dass der Finanzsektor nicht mehr steuerbar ist, beginnt, ein Eigenleben zu führen und Wucherungen zu treiben. Das ist das Thema von sowohl Acemaxx Analytics als auch Mathias Taege. Als J.P. Morgen 2 Milliarden $ Handelsverluste einfuhr, habe das Managementteam der eigenen Bank „Wochen gebraucht, um die Verluste zu verstehen und zu beziffern„, so Acemaxx Analytics. Was tun? „Mit einfachen Regeln … schafft man nicht nur sehr stabile Banken, sondern man schafft es auch, die aufgeblasenen Finanzmärkte zurück zu führen, die nur deshalb so aufgeblasen sind, weil man annahm, dass man sich gegen alles Absichern kann …„, so Mathias Taege.
Für Dirk Elsner sind dagegen die staatlichen Rettungsgarantien für die Banken das Hauptproblem. Auf sie gestützt konnten zumindest einzelne Institute ins Ungesunde wachsen. Ob damit der Finanzsektor insgesamt eine ungesunde Größe erreicht hat, lässt Dirk allerdings offen.
Für Wirtschaftsphilosoph ist diese Frage dagegen klar. Finanzblasen (und die ihnen folgenden Krisen) beweisen hinreichend, dass der Finanzsektor zu groß ist.
Das leuchtet ein. Niemand wird heute bestreiten, dass bis 2007 Hauskredite in den USA zu billig waren, ergo zu viele Kredite vergeben wurden, wodurch die Banken wuchsen. Die Frage ist nur, ob wir heute immer noch Blasen haben. Eine Finanzblase lässt sich ja erst nach ihrem Platzen eindeutig belegen.
Während Acemaxx, Mathias, Dirk und Wirtschaftsphilosph indirekt ableiten, dass der Finanzsektor wahrscheinlich zu groß ist, präsentiert Stefan L. Eichner in zwei Artikeln zahlreiche interessante Daten. So wuchsen in den USA die Spitzeneinkommen im Finanzsektor seit 1979 mit am stärksten, sowohl was ihre Höhe als auch ihre Anzahl betrifft. Interessant finde ich dabei die parallele Entwicklung zum Immobiliensektor, bei dem die Blasenbildung wohl unbestritten ist. Dieses Einkommenswachstum resultierte dabei fast ausschließlich aus dem Investmentbanking (Wertpapiere, Derivate usw.).
Die Artikel der sieben Blogger zeigen: Die Blogparade war ein voller Erfolg. Das ermutigt mich, nun regelmäßig eine solche Parade zu veranstalten, jeden zweiten Monat. Meine nächste Blogparade findet also im November statt.
Leider fast etwas zu spät, aber hier ist noch ein Beitrag: http://www.chronokrator.com/?p=310. Das war wirklich einen hervorragende Idee und die wurde auch noch gut umgesetzt. Ich freue mich schon auf November.
@Chronokrator,
schade, dass kein Pingback im Startartikel angekommen ist, sonst hätte ich deinen Artikel natürlich auch erwähnt. Am besten ist wohl, in den Kommentaren zum Startartikel der Parade eigenhändig seinen Beitrag zu verlinken.
Pingback: Kleine Presseschau vom 2. Oktober 2012 | Die Börsenblogger
Haben wir nicht genau diese Situation aktuell bei uns? Die Zinsen für Immokredite liegen bei 1,75%. Warum sind die Leitzinsen auf einem so niedrigen Stand? Dem Euro geht es kurstechnisch verglichen zum US-Dollar blendend.
Pingback: Blogparade: Ist der Finanzsektor zu groß? | Wirtschaftswurm
Ich glaube nicht das die Kosten für die Hauskredite pauschal zu günstig sind bzw. waren , die können eigentlich gar nicht günstig genug sein. Was soll daran grundsätzlich verkehrt sein das Menschen sich ihre eigene Immobilie erarbeiten und nicht langfristig höhere kosten durch Miete haben. Es ist nur wichtig sicherzustellen das die Menschen auch willens und in der Lage sind die Kredite auch zurück zu bezahlen und das Arbeitslosigkeit auch mal eine Zeit lang überbrückt werden kann. Deswegen sollte man ihnen eher zu einem kleineren Häuschen oder eben nur zur Eigentumswohnung raten.
Wenn man es ökonomisch für Unsinn erachtet das in einer bestimmten Zeitperiode zu viel Immobilien gebaut werden, dann sollte man sich andere Steuerinstrumente überlegen als hohe Zinsen. Wenn es zum Beispiel genügend Immobilien gibt, gibt man günstige Kredite nur für die, die Bestandsimmobilien kaufen, die ein Mindestalter haben, und die für die Eigennutzung gedacht sind.
Man vergisst aus ökonomischer Sicht zu schnell den einzelnen Bürger der ja, für diese Zinsen auch aufkommen muss und an anderer Stelle verdient dann wieder Jemand mehr der dieses Kapital verleiht und es fraglich ist warum er denn so viel Gewinn daraus erzielen muss. Wenn ich mir dann noch vorstelle das dieses Kapital teilweise durch Geldschöpfung generiert wird finde ich das noch weniger gerechtfertigt.
Naja, wenn Ökonomen sagen, etwas sei „zu günstig“, dann steckt da schon gleich ein ganzes Angebots- und Nachfragemodell dahinter. Zu günstig meint in diesem Fall, dass auch z.B. Arbeitslose in den USA einen Hauskredit zu Konditionen bekommen haben, die nicht von vornherein abschreckend für sie waren.
„…die Frage selbst zu präzisieren,…“
Präzise Frage: Sind die Geldvermögen und Schulden – und damit die Zinslasten – im Verhältnis zum BIP zu groß? Antwort: Ja.
http://www.helmut-creutz.de/pdf/grafiken/034-043b_creutz.pdf
Die folgende pdf-Datei, die die Ursache der „Finanzkrise“ (korrekt: beginnende globale Liquiditätsfalle), die systemische Ungerechtigkeit der Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz, erklärt, wurde sowohl an Frau Dr. Merkel als auch an alle Bundestagsabgeordnete sowie eine Vielzahl von „Wirtschaftsexperten“ und Journalisten geschickt:
http://www.swupload.com/data/Merkel_111124.pdf
Obwohl der Inhalt schon für 12-jährige Schulkinder verständlich ist, sind alle, die in „dieser Welt“ (Zinsgeld-Ökonomie, zivilisatorisches Mittelalter) eine „gesellschaftliche Position“ erlangt haben, unfähig, die Zusammenhänge zu verstehen; nicht aus „bösem Willen“, sondern weil sie wirklich zu dumm sind. Dies zeigt in aller Deutlichkeit, welche Macht bis heute die Religion (Rückbindung auf den künstlichen Archetyp Jahwe = Investor), unabhängig von „Glaube“ (Cargo-Kult) oder „Unglaube“ (Ignoranz), auf noch unbewusste Menschen ausübt:
http://www.swupload.com//data/Das-Juengste-Gericht.pdf
Hey, eine gute Idee und wirklich interessante Artikel zum Thema. Ich stimme Stefan Wehmeier’s Präzision der Frage zu. Die Zinslasten sind das Hauptproblem unseres Finanzsystems und auch Grund für Krisen innerhalb unseres kapitalistischen Systems.
Ich arbeite zur Zeit mit an einer Idee für ein alternatives System zur Kapitalvergabe. Es handelt sich dabei um die Onlineplattform Green Dolphin, die versucht mittels zinsfreien Mikrokrediten allen Menschen Zugang zu Kapital zu ermöglichen.
Es würde mich freuen wenn du mal auf unseren Blog schaust und uns sagst was du davon hältst. Für Anregungen und konstruktive Kritik haben wir immer ein offenes Ohr.
MfG, Martin
Ja, die Zinslasten können zu einem Problem werden, auch gesamtgesellschaftlich. Dann gehen Firmen und Privatpersonen in die Insolvenz. Das ist Marktwirtschaft. Natürlich sollte man Pleiten sozial abfedern, aber man sollte sie nicht unterbinden. Somit ist das Zinsproblem gelöst.
Pingback: Shorty zur Blogparade: Ist der Finanzsektor zu groß?
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