Wirtschaftswurm-Blog

Wie Europa fällt – eine Rechtfertigung

Nicht überzeugen konnte ich mit meinem letzten Artikel „Wie sich Europa im Euro-Rettungsschirm verheddert …“ den Blogger Wirtschaftsphilosoph. Meiner auf Yanis Varoufakis beruhenden Analyse hält Wirtschaftsphilosoph entgegen:

Entweder ist die europäische Schuldenlast insgesamt zu groß, dann fallen alle Dominosteine, ob nun in einer Reihe durch den EFSF oder als großer Klotz mittels Eurobonds, oder das ist nicht der Fall, weil nur einzelne Länder überschuldet sind und die übrigen das in Summe ausgleichen können. Die Dominotheorie unterstellt, dass insolvente Staaten komplett ausfallen und am Ende Deutschland allein alle Schulden des kompletten Euroraums übernehmen müsste. Das ist jedoch nicht der Fall. Selbst Griechenland kann etwas zum Begleichen seiner Schulden beitragen, sie nur eben nicht mehr allein schultern.

Zunächst einmal der Punkt, in dem ich mit Wirtschaftsphilosoph übereinstimme: Eurobonds sind keineswegs die Rettung oder um im Bild zu bleiben: Wenn man die Dominosteine zusammenstellt, ist keineswegs sichergestellt, dass sie nicht umkippen. Die entgegen wirkenden Kräfte sind unter Umständen so groß, dass sie die Steine auch im Block umkippen können.

Insgesamt hatte die Eurozone bereits 2010 eine Schuldenquote von 85 %. Das ist nicht mehr sehr weit von den magischen 100 % entfernt, ab der Staatsschulden meistens unkontrollierbar werden. Wir brauchen nur eine neue Rezession sowie ein bisschen weitere unverantwortliche Schuldenmacherei. Und letzteres wird gerade durch Eurobonds und die dadurch erfolgende Vergemeinschaftung der Verantwortlichkeiten gefördert. Die Märkte werden dies vorwegnehmen und ihre Zinsforderungen nach oben treiben.

Trotzdem (und nun zum Punkt, wo ich Wirtschaftsphilosoph widersprechen muss) beinhaltet die Konstruktion des EFSF ein zusätzliches Risiko gegenüber Eurobonds. Denn es ist nicht so, dass Griechenland zur Zeit noch etwas zum Begleichen seiner Schulden beiträgt. Das wird aus den Zahlen des griechischen Finanzministeriums zum Haushaltsvollzug in den ersten sieben Monaten 2011 deutlich: Das staatliche Budgetdefizit betrug 15,513 Milliarden €. Die Zahl bezeichnet die notwendige Nettoneuverschuldung. Die fällige Tilgung von Altschulden ist schon herausgerechnet. Die Zinszahlungen Griechenlands belaufen sich demgegenüber auf 10,213 Milliarden €.

Wenn nun der Euro-Rettungsschirm EFSF das Geld für die Nettoneuverschuldung und für die Tilgung der Altschulden besorgt, dann hat er damit den gesamten Schuldendienst Griechenlands übernommen, nämlich Tilgung wie Zinszahlungen, plus sogar noch 5,3 Milliarden für Griechenlands staatliche Aufgaben.

Wenn der EFSF aber den gesamten Schuldendienst übernommen hat, dann kann man ihm (bzw. seinen noch solventen Garantiestaaten) auch die gesamten Schulden Griechenlands anrechnen. Dann muss man für die Garantiestaaten die „neue“, höhere Defizitquote berücksichtigen, von der Varoufakis spricht. Und so kommt es dann zum Dominoeffekt, durch den ein Eurostaat nach dem anderen pleite geht.

Ich mag jetzt nicht mehr die Zahlen für Portugal und Irland heraussuchen, wahrscheinlich sind sie nicht viel besser als für Griechenland und uns also kein Trost. Eine Einschränkung gilt allerdings. Die vollständige Umlage der Schulden der Pleitestaaten auf die noch solventen Staaten der Eurozone ist nur gerechtfertigt, wenn erstere dauerhaft nichts zu ihrem Schuldendienst beitragen können; dauerhaft zumindest aus Sicht der Märkte, auf die es ja hier ankommt; also, dauerhaft, wenn man die aktuellen, erkennbaren Trends fortschreibt.

Und die sind negativ.


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10 Kommentare

  1. Ab 100% sind Schulden unkontrollierbar? Schulden sind grundsätzlich „falsch“ in unserem System. Aussagfen wurden dazu schon genug gemacht. Ergo muss ein anderes Geldsystem her, nicht ein mehr oder weniger an Schulden, schon gar nicht eine Schuldengemeinschaft. Oder übernimmt der Autor meine Schulden? Anteilig?

  2. Wirtschaftswurm sagt

    Da muss ich jetzt doch mal auf Thomas Strobl und sein Buch „Ohne Schulden läuft nichts“ verweisen. Im Prinzip sind auch Staatsschulden für Investitionen oder in einer schweren Krise in Ordnung, sie müssen aber auch mal zurückgezahlt werden. Das wurde in den letzten 40 Jahren versäumt. Mehr dazu habe ich schon unter dem Titel Erzwingt die Schuldenbremse eine Negativspirale nach unten? geschrieben.

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  5. Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass EFSF und Eurobonds beide sehr problematisch sind. Dissens besteht darüber, was das kleinere Übel wäre. Der EFSF ist zumindest bislang kleiner konzipiert als die hauptsächlich angedachten Eurobonds (mit 60 % des BIP der Euro-Staaten oder sogar kompletter Vergemeinschaftung aller Staatsschulden). Außerdem behalten die solventen Staaten mittels EFSF mehr Einfluss über die insolventen, die z. B. jeweils explizit unter den Rettungsschirm gestellt werden müssen. Eurobonds steigern dagegen das Verschuldungspotential von Krisenstaaten beträchtlich.

    Wenn in diesem Jahr die komplette Zinslast von Griechenland und auch noch ein Primärdefizit übernommen werden, ist das nicht identisch mit einer Übernahme aller griechischen Schulden, da es im nächsten Jahr schon wieder anders sein kann. Hier sind unbedingt Strom- und Bestandsgrößen zu unterscheiden, wobei letztere viel höher sind. Eurobonds erlauben schlagartig einen signifikant höheren Schuldenbestand, was dann für die Neuverschuldung einiger Jahre reicht, aber das Insolvenzproblem nicht löst, sondern danach in verschärfter Form zurückbringt, bis am Ende Deutschland alle Schulden übernommen haben wird bzw. selbst insolvent ist.

  6. Wirtschaftswurm sagt

    @Wirtschaftsphilosoph
    „Dissens besteht darüber, was das kleinere Übel wäre.“ Was jetzt das kleinere Übel ist, EFSF oder Eurobonds, da mag ich mich so allgemein gar nicht festlegen. Als kleiner Wurm ist es sehr schwer, zwei riesige Misthaufen miteinander zu vergleichen. Es käme auf jeden Fall auf die Ausgestaltung der Bonds an.
    Auf die Unterscheidung Strom- und Bestandsgrößen bin ich ja indirekt im letzten Absatz eingegangen: „Die vollständige Umlage der Schulden der Pleitestaaten auf die noch solventen Staaten der Eurozone ist nur gerechtfertigt, wenn erstere dauerhaft nichts zu ihrem Schuldendienst beitragen können“. Ich glaube, für kurzfristig ausgerichtete Anleger ist diese Unterscheidung irrelevant.

  7. Mir ging es weniger um die Relevanz für die Anleger als für die Staaten, die den Rettungsschirm oder Eurobonds finanzieren bzw. garantieren müssen. Für Anleger ist der Unterschied gering, zumindest solange Deutschland zahlungsfähig bleibt.

    Die folgende These teile ich überhaupt nicht: “Die vollständige Umlage der Schulden der Pleitestaaten auf die noch solventen Staaten der Eurozone ist nur gerechtfertigt, wenn erstere dauerhaft nichts zu ihrem Schuldendienst beitragen können”. Gerade umgekehrt kann die Unterstützung bei vorübergehender Illiquidität sinnvoll sein, während die dauerhafte Alimentation nur Kosten ohne Nutzen verursacht. Dann doch besser sofort eine Insolvenz mit Hilfen danach.

  8. Pingback: Kleine Presseschau vom 19. August 2011 | Die Börsenblogger

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