„Lächerlich hoch drei“, so bezeichnet Thomas Strobl die gegenwärtige Kritik von Politikern an den Ratingangenturen. Doch so lächerlich die Politikeraussagen sein mögen, leider ist die ganze Situation überhaupt nicht zum Lachen. Denn wenn EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier überlegt, das Rating von Krisenländern zu verbieten, dann zeigt das vor allem Hilflosigkeit, dann ist das schon so gut wie ein Offenbarungseid. Auf Deutsch gesagt: Denen geht der Arsch auf Grundeis.
Vorangegangen war bekanntlich die Abwertung von Portugalanleihen durch die Ratingagentur Moody’s auf Ba2. Die Anleihen gelten somit als spekulativ; die Medien reden von Ramschanleihen. Die Aussetzung des Ratings (wie von Barnier gefordert) hätte allerdings genau dasselbe Signal gebracht. Unter Umständen wäre das Signal sogar noch verheerender gewesen. Denn die Märkte sind meistens eher bereit schlechte Nachrichten zu akzeptieren als große Unsicherheit. Lieber eine schlechte Bewertung als gar keine.
Auch der Ruf nach mehr Rating-Wettbewerb ist nicht zu Ende gedacht. Klar, wenn es statt dreier großer Rating-Agenturen sechs gäbe (wie von Barniers Kollegin Viviane Reding gefordert), verlöre das Votum einer einzelnen Agentur an Gewicht. Dies würde helfen, die Ratings nicht überzubewerten. Sie sind insbesondere, was Staatsanleihen betrifft, sehr unsichere Prognosen über die Wahrscheinlichkeit eines Kreditausfalls. In sie fließen solche Unwägbarkeiten wie die zukünftige Wirtschaftsentwicklung des Staates mit ein. Außerdem muss der Willen und die Durchsetzungsfähigkeit der Politiker beurteilt werden, wenn es um für die Kreditrückzahlung notwendige Steuererhöhungen und Haushaltskürzungen geht.
Eines würde aber durch mehr Rating-Agenturen wahrscheinlich nicht erreicht, nämlich, dass die Qualität der Bewertungen verbessert würde. Qualitätswettbewerb funktioniert schlecht, wenn die Qualität der Ware erst lange im Nachhinein festgestellt werden kann. So wissen wir heute, wie falsch die AAA-Ratings für die US-amerikanischen Hypothekenanleihen waren. Dieses Wissen hätten wir allerdings vor fünf Jahren gebraucht.
Zur Einschätzung der Qualität einer Bewertung können wir höchstens vergleichbare Erfahrungen aus der Vergangenheit heranziehen. Da allerdings haben die drei großen Agenturen trotz einiger Kapitalfehler keine schlechte Bilanz vorzuweisen. Und das immerhin über 70 bzw. 100 Jahre. Ein Neuling hätte dagegen schlechte Karten. Ich tippe darauf, dass Moody’s auch im Fall Portugal richtig liegt.
Das Problem ist, dass die Ratingagenturen vor Eintreffen und unabhängig von der Güte ihrer Prognosen bezahlt werden. Dadurch fehlt jeglicher Anreiz, eine qualitativ hochwertige Analyse anzufertigen. Die Lösung wäre einfach: die Bezahlung erfolgt erst am Ende der Prognosezeit und in Abhängigkeit ihrer Güte.
Das ist – zugegeben – etwas kompliziert, es würde sich aber lohnen.
Für Staatsanleihen werden die Agenturen nicht bezahlt. Das machen sie wohl wegen der Werbewirkung. Für die anderen Fälle: Dass die Agenturen ihr Geld erst nachträglich bekommen, geht wohl nicht. Dann bekämen sie ja bei einer Pleite auch kein Geld. Aber man könnte natürlich verlangen, dass sie ihr Geld zurückzahlen, sollten sie unrecht haben.
Das Problem ist doch: Wann hat eine Rating-Agentur denn „unrecht“? Die sagt Portugal ist BB-. Zwei Möglichkeiten
1) Portugal fällt nach 1 Jahr aus: War BB- richtig oder falsch?
2) Portugal fällt nach 1 Jahr nicht aus: War BB- richtig oder falsch?
Auf die schnelle habe ich nur die Erklärungen der Wikipedia zur Hand, von denen ich annehme, dass sie auch offiziell sind. Da heißt es z.B. für die Ratings A1-A3: „Die Anlage ist sicher, falls keine unvorhergesehenen Ereignisse die Gesamtwirtschaft oder die Branche beeinträchtigen.“ Insofern wäre das Rating eine bedingte Prognose, die solange gilt, bis das „falls“ eintritt. Im Zweifelsfall kann man darauf wohl keine Agentur festnageln.
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Das Problem ist doch, dass privat geführte Firmen schlicht nicht die Macht haben sollten ganze Staaten in den Abgrund zu stoßen. Dabei ist es egal ob sie mit der Analyse recht behalten.
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Ein größeres Problem als der fehlende Wettbewerb bei nur drei großen Agenturen ist imho die Tatsache, dass diese gemäß uramerikanischem Wirtschaftsverständnis urteilen – und das ganz offenbar nicht unvoreingenommen, denn die Fehleinschätzungen der Vergangenheit betrafen fast ausnahmslos amerikanische Institutionen. Dies hinterlässt ein „Geschäckle“, da die Fehleinschätzungen – durchweg zum Vorteil der entsprechenden Institutionen, eine gewisse politische Willfährigkeit der Agenturen vermuten lassen.
@Axel,
also die Wahrheit muss unter Verschluss bleiben und die Anleger müssen in die Irre geführt werden, damit die Staaten sich weiterhin problemlos verschulden können?
@Corinna,
also ich wollte mit meinem Artikel nicht ausdrücken, das bei den Rating-Agenturen alles in Ordnung ist. Das Problem löst man aber nicht einfach durch noch mehr Rating-Agenturen oder eine „europäische“ Rating-Agentur. Eine unabhängige Ratingagentur als gemeinnützige Stiftung wäre aber mal eine Überlegung wert.
Lieber „Wirtschaftswurm“, nun, die Initiative zu einer gemeinnützigen, nachhaltigen Ratingagentur hat die Deutsche Umweltstiftung schon gestartet. Dazu nachstehend Link zur Pressemitteilung > http://deutscheumweltstiftung.de/index.php?option=com_content&view=article&id=271:europa-braucht-eine-nachhaltige-gemeinnuetzige-ratingagentur-&catid=36:pressemeldungen&Itemid=215
Beste Grüße aus Berlin Christian Neugebauer, Koordinator Wirtschaftsrat der Deutschen Umweltstiftung