Wirtschaftswurm-Blog

Zeit, über den Liberalismus wirklich neu nachzudenken

Eucken und Pinochet

Schon vor der Bundestagswahl erschien bei Wiesaussieht ein anregender Artikel von Patrick Schreiner „Zeit, über den Liberalismus neu nachzudenken“. Er schließt mit dem Fazit: „Eine gewisse Tendenz zum Autoritären, zum Brutalen und zur Gewalt ist im Liberalismus ideologisch angelegt.“ Dabei vergisst Patrick Schreiner aber ganz den Ordoliberalen Walter Eucken, der seine Ideen gerade als Alternative zum brutalen Nationalsozialismus entwickelte.

Augusto Pinochet

Patrick Schreiner führt das Beispiel Pinochet an, jenes chilenischen Diktators, der im September 1973 den gewählten sozialistischen Präsidenten Allende stürzte. Pinochets Regime vereinbarte Gewaltherrschaft auf der einen Seite und eine Deregulierung der Wirtschaft auf der anderen Seite miteinander.

Schreiner glaubt, Pinochet sei politisch erfolgreich gewesen, nicht aber wirtschaftlich. Tatsächlich aber war es genau umgekehrt.

Die 2,9% jährlichen Wirtschaftswachstums während des Pinochet-Regimes 1973-1990 waren nämlich nicht „mager“, wie Schreiner schreibt, sondern im Vergleich mit anderen lateinamerikanischen Staaten glänzend. Die erreichten nämlich 1973-1990 nur durchschnittlich 1,5%.

Politisch dagegen blieb das Pinochet-Regime eine Episode. Bereits durch die Verfassung von 1980 wurde die Möglichkeit zu einem Übergang zur Demokratie geschaffen. 1988-1990 erfolgte die „Transition“ dann friedlich.

Pinochet ist nichts weiter als ein historisches Irrlicht des Wirtschaftsliberalismus.

Trennung von politischen und wirtschaftlichen Freiheiten

Schreiners Argumentation geht allerdings weiter. Er sieht die gedankliche Trennung von wirtschaftlichem und politischem Liberalismus als Grundübel des heutigen Liberalismus an. Ferner behauptet er, dass für die Liberalen von heute wirtschaftliche Freiheit höherwertiger sei:

„Politik gilt dem Liberalismus … als zumindest potentiell freiheitsfeindlich, da sie immer wieder in das Wirtschaftsgeschehen interveniert. Wirtschaft hingegen gilt … als Sphäre selbstregulierender Märkte, in der dank Vertragsfreiheit, Eigentumsrecht und freiem Unternehmertum materieller Wohlstand gemäß marktinhärenter natürlicher Gesetzmäßigkeiten geschaffen wird.“

Nun ist die Unterscheidung zwischen politischen und wirtschaftlichen Freiheiten erst einmal nur ein analytisches Instrument. Zu den wirtschaftlichen Freiheiten zählt das Recht auf Eigentum und Vererbung, die freie Berufswahl und natürlich das Recht, frei zu handeln, also zu kaufen und zu verkaufen. Zu den politischen Freiheiten zählen insbesondere die Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie die Personenfreizügigkeit, die die freie Wahl des Wohnortes beinhaltet und damit auch die freie Ausreise und Auswanderung.

Sowohl politische als auch wirtschaftliche Freiheiten bleiben aber Ausfluss des einen Prinzips, das in Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes festgeschrieben ist:

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit …“

Richtig ist nun, dass Politik in der Tat potenziell freiheitsfeindlich ist. Macht strebt nach noch mehr Macht und politische Macht strebt auch nach wirtschaftlicher Macht. Gerade darum aber sind die politische Freiheiten auch für die wirtschaftlichen Freiheiten wichtig. Sie beschränken die politische Macht und damit ihr Missbrauchspotenzial.

Falsch dagegen ist, dass der Liberalismus generell Märkte als selbstregulierend zu materiellem Wohlstand führend ansieht. Das mag für von Hayek gelten, nicht aber für die Ordoliberalen wie z.B. Walter Eucken. Ungezügelte Märkte führen nach Eucken zu einer Vermachtung der Wirtschaft, also zu Monopolen und Kartellen. Wirtschaftliche Macht bedingt aber auf der anderen Seite nicht nur soziale Verelendung, sondern greift durch Lobbyismus auch in die Politik ein und gefährdet die politischen Freiheiten.

Ordoliberale forderten immer eine Einschränkung wirtschaftlicher Macht durch die Politik, gleichzeitig aber eine Einschränkung politischer Macht durch politische Freiheiten ebenso wie wirtschaftliche Autonomie. Die strikte Trennung zwischen wirtschaftlicher und politischer Sphäre dient gerade der Beschränkung von Macht. Vergessen wir nicht, dass Walter Eucken seine Ideen als Alternative zum Nationalsozialismus entwickelte.

Walter Eucken und Augusto Pinochet

Passen nicht zusammen: Walter Eucken (links), der von NS-Studenten bedroht und von der Gestapo mehrfach verhört wurde, und der chilenische Gewaltherrscher Augusto Pinochet (rechts)

Ich muss zugeben, dass nach Walter Eucken Ordoliberale über Jahrzehnte hinweg vor allem um die wirtschaftliche Autonomie besorgt waren. Dabei hatte sich bereits in den 90er Jahren durch eine neue Stufe der Globalisierung das Machtgefüge zwischen Wirtschaft und Politik entscheidend geändert – nämlich zulasten der Politik und zugunsten der internationalen Konzerne.

Nach der Weltwirtschaftskrise 2009, in der zudem die politische Macht der Banken für alle sichtbar wurde, ist es überfällig, dass Ordoliberale ihre falsche Perspektive korrigieren.


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5 Kommentare

  1. Stoertebeker sagt

    „Pinochet ist nichts weiter als ein historisches Irrlicht des Wirtschaftsliberalismus.“

    Pinochet war ja kein Wirtschaftsliberaler. Er war ein ganz gewöhnlicher südamerikanischer Autokrat – etwas brutaler als andere vielleicht – der das Glück hatte, sich wirtschaftspolitisch ordentlich beraten zu lassen.

    „Ich muss zugeben, dass nach Walter Eucken Ordoliberale über Jahrzehnte hinweg vor allem um die wirtschaftliche Autonomie besorgt waren. Dabei hatte sich bereits in den 90er Jahren durch eine neue Stufe der Globalisierung das Machtgefüge zwischen Wirtschaft und Politik entscheidend geändert – nämlich zulasten der Politik und zugunsten der internationalen Konzerne.

    Nach der Weltwirtschaftskrise 2009, in der zudem die politische Macht der Banken für alle sichtbar wurde, ist es überfällig, dass Ordoliberale ihre falsche Perspektive korrigieren.“

    Ich entdecke darin einen Widerspruch: Denn wenn die Banken politische Macht ausnutzen konnten, liegt es doch gerade nahe, die wirtschaftliche Autonomie (selbstverständlich auch in schlechten Zeiten) zu forcieren und einen Rückzug des Staates zu fordern.

  2. Häschen sagt

    Märkte regulieren sich von selbst. Allein die Bereinigungsprozesse werden als Versagen interpretiert.

    Eines der besten Beispiele, wenn auch unbeliebt, sind die systemkritischen Teile der Wirtschaft und in den letzten Jahren insbesondere im Fokus als Vertreter des Finanzsystem die Banken ohne jetzt jede Bausparkasse mit an den Pranger zu stellen. Wenn eine Bank ausscheidet und die Sparguthaben weg sind, dann ist das ganz einfach eine Bereinigung.

    Hinter dem als Consumer Surplus definierten Teil wird sehr viel Verschwendung von Ressourcen versteckt. Verschwendung von jeder Art von Ressource. Lebenszeit der Menschen, Kaufkraft von Währung, …
    http://en.wikipedia.org/wiki/Neoliberalism

    Politik ist noch nicht das Gift. Das sind die gewachsenen machterhaltenden Strukturen. Gilt aber für jeden Konzern genauso. Die sind früher einfach zerfallen, da keiner die Finanzierung stemmte als sie zu groß wurden. Dieses Element der Selbstregulierung haben sie heute nicht mehr. Corporates hätten das Potential ewig zu leben. Ich persönlich würde die Natur ins Spiel bringen und jährlich eine Ziehung machen durch den Zufall bestimmt, welcher Großkonzern zerschlagen wird und auch die Finanzierung selbstverständlich in die Hände mehrer insbesondere Anderer wandert. Genauso könnte man Politische Parteien respektive die Strukturen auflösen und die Partei auf der Ersatzbank setzen für 3 Legislaturperioden, vor der Wahl. Ich sehe es so, die steigen kosten für die Aufrechterhaltung von ewigem Leben werden dem Individuum unter dem Deckmantel Zugewinn für den Konsumenten, letztendlich für den Bürger, verkauft.

    In der Natur wird auch nichts auf ewige Zeiten günstiger. Vermutlich gab es auch Zeiten zu denen blühte das Edelweiß so mancher orts und heute erfreut’s den wendigen Steinbock, dafür wachsen andere Blumen auf der Wiese. Denkt man sich eine Blume sei giftig, das nascht man halt nicht, sondern erfreut sich des Anblicks.

  3. Pingback: Autoritärer Liberalismus? – Eine Erwiderung auf Patrick Schreiner

  4. “Der historische Liberalismus hat versagt – nicht als Liberalismus, sondern in seiner verhängnisvollen Verquickung mit dem Kapitalismus. Er hat versagt – nicht weil er zuviel, sondern weil er zu wenig Freiheit verwirklichte. Hier liegt der folgenschwere Trugschluss der sozialistischen Gegenströmung. Die liberalistische Wirtschaft war in Wahrheit keine freie, sondern eine vermachtete Wirtschaft, vermachtet durch Monopolbildung, kapitalistische Machtballungen, durch Konzerne und Trusts, die das Wirtschaftsleben über Preise, Zinsen und Löhne nach ihren eigenen Interessen bestimmten. Wo durch Monopole und Oligopole, durch Konzerne und Trusts der freie Wettbewerb entstellt und gefälscht, die freie Konkurrenzwirtschaft unterbunden und zerstört wird, da fehlt die elementare Grundlage eines liberalistischen Systems im ursprünglichen, klaren und eindeutigen Sinn dieses Wortes.
    Der Sozialismus ersetzt die private Vermachtung durch die staatliche Vermachtung der Wirtschaft mit dem Ergebnis, daß die soziale Gerechtigkeit keinesfalls erhöht, aber die automatische und rationelle Funktionstüchtigkeit der Wirtschaft entscheidend geschwächt wird. Der historische Weg, die unerwünschten sozialen Auswirkungen einer fehlerhaften Wirtschaftsordnung durch politische Maßnahmen und staatliche Eingriffe zu beseitigen, musste notwendig scheitern. Eine brauchbare Sozialordnung kann nicht mit bürokratischen Mitteln erzwungen werden, sondern nur aus einer richtig funktionierenden Wirtschaftsordnung erwachsen. Nur eine natürliche, dynamische Gesellschaftsordnung auf der gesicherten Basis einer natürlichen, dynamischen Wirtschaftsordnung ist stabil und kann ohne großen Aufwand an bürokratischen Mitteln und gesetzlichen Regelungen nachträglich noch politisch-rechtlich gesichert werden, soweit dies überhaupt noch erforderlich ist.”

    Dr. Ernst Winkler (aus Magna Charta der Sozialen Marktwirtschaft, 1951)

    Alles andere ist dummes Geschwätz. Es blieb allein die Frage zu klären: Warum konnte die Natürliche Wirtschaftsordnung (echte Soziale Marktwirtschaft = freie Marktwirtschaft ohne Kapitalismus) bis heute nicht verwirklicht werden? Antwort: Der eigentliche Beginn der menschlichen Zivilisation setzt die Überwindung der Religion voraus:

    Glaube Aberglaube Unglaube

  5. Pingback: Die Brutalität des Liberalismus | Wirtschaftswurm

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