Wirtschaftswurm-Blog

Augen zu und gegen die Rente mit 67

Laut Emnid sind 82 % der Deutschen gegen die Rente mit 67. Kein Wunder, dass die SPD-Spitze meint, hier punkten zu können. Doch die Mehrheit hat nicht immer die besseren Argumente. Die Argumente der Gegner der Rente mit 67 sind sogar besonders platt. Ein Beispiel liefert Christian Tenbrock auf Zeit-Online.

„Wie kann … mit Sicherheit vorausgesagt werden, wie viele Menschen 2040 oder 2050 in der Republik leben und arbeiten werden, wie sich bis dahin die Wirtschaft entwickelt und um wie viel produktiver jeder einzelne Arbeitnehmer in einigen Jahrzehnten seinen Job versieht? Wirklich sicher kann das niemand sagen, aber jeder einzelne dieser Faktoren beeinflusst die Funktionsfähigkeit des Rentensystems.“ Und da man also nichts sicher weiß, so Tenbrocks Schlussfolgerung, braucht man auch nichts zu tun.

Wenn die Politik allerdings nur dann handeln würde, wenn die Daten atombombensicher wären, dann könnte sie sich gleich selbst abschaffen. Politisches Handeln ist immer Handeln unter Unsicherheit. Aber Unsicherheit ist nicht gleich Unsicherheit. Manches Unsichere ist unwahrscheinlich, manches wahrscheinlich und manches sehr wahrscheinlich und damit schon fast wieder sicher. Hier nicht zu unterscheiden, sondern alles in Bausch und Bogen als „unsicher“ zu brandmarken ist eine demagogische Vereinfachung.

Was die Prognosen über die demografische Entwicklung betrifft, so sind sie sehr wahrscheinlich. Vorherzusagen, dass der Jahrgang 1973 bei einer Rente mit 67 im Jahr 2040 in den Ruhestand geht, dazu gehören keine besonderen prophetischen Fähigkeiten. Und sofern keine mittelalterlichen Seuchen dazwischen kommen, ist damit auch einigermaßen genau die Zahl der Leute bekannt, die 2040 in den Ruhestand gehen. Selbst der Großteil der arbeitenden Bevölkerung 2040 lebt heute schon im Land und ist gezählt. Unsicherheitsfaktoren wie die Ein- und Auswanderung oder die Geburtenrate der nächsten etwa 10 Jahre fallen demgegenüber nicht so sehr ins Gewicht. (Die Geburtenrate schon der 2020er Jahre spielt für die arbeitsfähige Bevölkerung 2040 sowieso praktisch keine Rolle.)

Interessanterweise meinen gerade die, die die Unsicherheiten bei demografischen Prognosen unverhältnismäßig betonen, die Entwicklung der Produktivität in den nächsten Jahrzehnten besonders gut vorhersagen zu können. Und sie behaupten, das in Zukunft ungünstigere Verhältnis von Rentnern zu Arbeitsfähigen werde durch die bessere Produktivität der Arbeitenden ausgeglichen. Nun, die Prognose der zukünftigen Produktivitätsentwicklung ist zumindest ein ganzes Stück unsicherer als die der zukünftigen Demografie. Und selbst wenn die Produktivität tatsächlich ausreichend steigen sollte: Wir sollten uns besser nicht darauf verlassen, dass die Menschen zukünftig bereit sind, einen höheren Rentenbeitragssatz zu zahlen. Denn eines ist klar: Wenn man die Rente mit 67 ablehnt, bleiben nur die beiden Alternativen: Renten kürzen oder Rentenbeiträge hoch.

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3 Kommentare

  1. Werner sagt

    Nun, es ist aber doch anzunehmen, dass die Produktivität weiter zunimmt, denn die Menschen werden wohl nicht zu denken aufhören und zu überlegen wie sie ihre Arbeit effektiver und einfacher erledigen können. Natürlich kann es durch die Explosion eines Atomkraftwerks, oder, wahrscheinlicher, aufgrund des Klimawandels oder durch Energie- und Rohstoffknappheit auch zu einem Wirtschaftseinbruch kommen, dann aber wird das Renteneintrittsalter eines unserer geringeren Probleme sein.
    Natürlich muss die Politik Entscheidungen unter Unsicherheit treffen, aber alles zu seiner Zeit. Wenn wir im Jahre 2012 das Renteneintrittsalter um einen Monat anheben, so hilft das den Rentnern im Jahre 2040 gar nichts. Das Umlagesystem hat den Vorzug, dass es sofort Wirkung entfaltet, sollte sich in einigen Jahrzehnten zeigen, dass sich ein späterer Renteneintritt nicht vermeiden lässt, so kann man ihn auch sehr kurzfristig realisieren.
    Bis dahin sollte sich die Politik auf die gegenwärtigen Probleme konzentrieren. Bildungs- und Qualifizierungschancen für alle Kinder, eine familienfreundlichere Arbeitswelt, eine sichere und nachhaltige Energiepolitik und, und und…
    Zu Ihrem letzten Argument: vorausgesetzt, die demographischen Voraussagen stimmen, so müsste, wollte man nicht die Renten (über das ohnehin vorgesehene Maß hinaus) kürzen,der Rentenbeitrag tatsächlich steigen, wenn man auf die Rente mit 67 verzichtet. Und zwar laut Prüfbericht der Bundesregierung vom November 2010 um astronomische 0,5 Prozent!

  2. Wirtschaftswurm sagt

    Sicherlich könnte man sagen, wir heben das Renteneintrittsalter nicht in kleinen Schritten und ab nächstes Jahr an, sondern erst später und in ein oder zwei Stufen. Die Generationengerechtigkeit bliebe aber dann auf der Strecke. Es ist nur recht und billig, dass diejenigen, die erst mit 67 in Rente gehen dürfen, dafür heute bei den Rentenbeiträgen relativ entlastet werden. Und das geschieht, indem man das Renteneintrittsalter schon jetzt etwas anhebt.

  3. Werner sagt

    Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung betrug das Durchschnittseinkommen aller Versicherten im Jahr 2010 ca. 32.000 Euro.
    0,5 Prozent (und das sind Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zusammen) davon sind 160 Euro. Im ersten Jahr beträgt die Entlastung aber nur ein 24tel davon, also 6,66 Euro, dieser Betrag steigt die nächsten elf Jahre jeweils um 6,66 Euro an, die letzten sechs jeweils um 13.33. Die Gesamtentlastung, nach heutigem Durchschnittsverdienst gerechnet, beträgt also für den Zeitraum bis 2029 genau 1.274 Euro. Ist das die Generationengerechtigkeit, die Sie meinten?

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