Die Frage, wie viel die Ökonomen von Wirtschaft verstehen, beschäftigt weiterhin die Wirtschaftsblogs. Ausgangspunkt der Diskussion war bekanntlich ein Wirtschaftswoche-Artikel von Dieter Schnaas.
Joachim Goldberg nimmt nun meiner Meinung nach völlig zurecht die Gruppe der Verhaltensökonomen gegenüber Schnaas in Schutz. Das Verdienst der Verhaltensökonomik („behavioral economics“) liegt eben nicht darin, wie Schnaas höhnt, festgestellt zu haben, dass die Menschen sich oft irrational verhalten. Das wusste man in der Tat vorher. Das Verdienst dieses Forschungszweiges liegt darin, die regelmäßigen Folgen solch irrationalen Verhaltens für das Marktgeschehen aufzuzeigen.
Ich selbst habe mich ja bereits vor zwei Wochen mit Dieter Schnaas beschäftigt („Verstehen Ökonomen wirklich nichts von Wirtschaft?„). Doch meine harte Kritik an Schnaas stieß ihrerseits auf Kritik von Dirk Elsner.
Dirk findet es zu spitzfindig, wenn ich die Widersprüche in Schnaas Artikel herausarbeite. Außerdem findet er, dass man mit einem „akademischen Degen“ nicht Artikel sezieren sollte, die sich ans allgemeine Publikum wenden. Das werde solchen Artikeln nicht gerecht. „Sollen die Nichtfachleute deswegen aufhören zu schreiben oder ihre Meinung zu äußeren (sic!)?“, fragt er polemisch.
Bereits Wirtschaftsphilosoph hat Dirk geantwortet. Aber auch von mir hat Dirk eine gehörige Antwort verdient:
Natürlich nicht. Nichtfachleute dürfen genauso schreiben wie Wissenschaftler. Sie stehen aber auch nicht außerhalb der Kritik.
Um Nichtfachleute angemessen zu kritisieren, ist zu beachten, dass Nichtfachleute in der Standardsprache schreiben, Wissenschaftler dagegen in wissenschaftlicher Fachsprache. Gute Standardsprache strebt nach Lesbarkeit, ist aber häufig unpräzise; gute wissenschaftliche Fachsprache strebt nach Eindeutigkeit und Präzision, ist aber häufig schwer lesbar. Mein Blog Wirtschaftswurm ist übrigens standardsprachlich und richtet sich an alle mit solider Allgemeinbildung und Interesse für Wirtschaft.
Um Aussagen in Standardsprache (wie die von Schnaas) zu beurteilen, ist es nun notwendig, sie zu präzisieren, sie also möglichst in wissenschaftliche Fachsprache zu übersetzen. Ich messe nicht den standardsprachlichen Text an akademischen Maßstäben, das wäre tatsächlich Unfug. Aber den präzisierten, übersetzten Text darf und kann ich sehr wohl an akademischen Maßstäben messen. Und mein Ergebnis kann ich dann (wie hier im Blog) wieder in Standardsprache ausdrücken.
Dies ist ein Verfahren, das Nichtfachleuten wie Wissenschaftlern gerecht wird.
Klar, da die Standardsprache uneindeutig ist, gibt es immer wieder Interpretationsspielraum bei der Übersetzung. Diesen Spielraum sollte man nicht zuungunsten des Autors nutzen.
Konkret zu Dirks Vorwurf: Die Widersprüche, die ich Schnaas vorwerfe, kann man auch mit größter wohlwollender Interpretation nicht unter den Teppich kehren.
Dirk gibt allerdings auch einige wichtige Anstöße in seinem Beitrag:
Ich bin davon überzeugt, dass wir uns zu wenig fragen, nach welchen Mechanismen eigentlich Ideen nach oben geschwemmt und diskutiert werden. Ich glaube, die Qualität einer Idee, eines Modell, eines Lösungsvorschlags oder von was auch immer, ist nur eine Nebenbedingung.
Das gilt sowohl für die Behandlung der Wirtschaftswissenschaften in den Medien als auch in der Politikberatung. Gerade Letzteres ist allerdings auch für mich ein dunkles, unbekanntes Feld. Eins kann ich nur sagen: Wirtschaftsblogs lesen Politiker wohl eher weniger.
Ihre Artikel sind leicht nachzuvollziehen, danke. Seit dem ich diesen Blog gefunden habe wurde mir vieles klarer. Die Meisten Ökonomen auch wenn die Artikel sehr interessant sind folgen einer Denkrichtung und die kann durchaus viele Erklärungen bieten. Das spannende für die Fachleute ist das biedere Detail auf das es ankommt und eben jene Phänomene die sich nicht lassen erklären, wovon sollte man sonst lernen.
Wahrheit gibt es keine. In der Physik möglw. aber selbst dort überholt sich das Wissen ständig und obwohl längst widerlegt glauben wir in der Breite noch immer an Materie als Körnchen und leiten daraus unsere Schlüsse für den Alltag ab, das funktioniert für den Hausgebrauch ganz gut. Aber wehe die Leute kommen an einem Ort zusammen, dann tun die einfach Dinge die sie sonst nicht tun. Das ist was faul. Was sich die Physik spart ist Politik und Volksnähe, denn rechnen können nur wenige. Wer hat schon mal mit Tensor gerechnet, so viele nicht mehr und die Stammen aus dem der Mitte des 19ten Jahrhunderts.
Stellen wir uns mal vor die Frau Merkel referiert im Bundestag über die Unschärferelation und Quantenmechanik. ‚Das widerlege ich so‘, sagt ein Oppositionspolitiker von der SPD und stößt mit dem Fuß gegen den Stein, den er ihr in den Weg legen wollte, ein Gewerkschafter steigt auf die Zehe und sagt, ‚Der Beweis das Universum expandiert, die Flüssigkeit in der Schwellung das muss der Ether sein‘ – perfektes Modell gefunden. Die Grünen klagen sofort, ‚Der Schrödinger gehörte hinter Gitter, die Arme Katze einfach einsperren und nachher schauen, ob sie tot ist‘. Kommt der Herr Gysi und klärt auf, ‚So sicher ist das gar nicht bis man nachschaut‘. ‚Papperlapapp‘, wirft die Frau Roth ein, ‚Ich war mit dem Ensemble unterwegs und die bestätigten die Theorie, dass die Hälfte aller Katzen bestimmt tot sind‘. Aber am Schluss sind sich alle einig die Frau Merkel, der Heisenberg und der Schrödinger sind schuld an der Tierquälerei, obwohl es nie um die Katze ging und keiner wollte erklären, wie das Universum expandiert. In Bayern ist das alles sowieso anders, nur das die einzige Konstante im Kosmos, aber um die ging es eigentlich auch nicht.
Ich denke genauso geht es den Ökonomen mit der Politik. Das verwirrt den Bürger ungemein. Deswegen halte ich auch wenn sie im Detail etwas ungenau sind die leichter verständlichen Beiträge für den Menschen als Einstieg in die Materie unheimlich wichtig. Die Frage, ob wieviele Katzen jetzt wirklich das zeitliche Segnen und ob die eine mehr oder weniger den Ausschlag gibt … ist bei der Betrachtung der Welt zumalen unerheblich. Die Abweichung von der Theorie kann für den Fachmann ein spannender Einstiegspunkt in einen neue Forschungsrichtung sogar sein.
Danke für ihre Aufklärung auf diesen Blog.
„Um Nichtfachleute angemessen zu kritisieren, ist zu beachten, dass Nichtfachleute in der Standardsprache schreiben, Wissenschaftler dagegen in wissenschaftlicher Fachsprache. Gute Standardsprache strebt nach Lesbarkeit, ist aber häufig unpräzise; gute wissenschaftliche Fachsprache strebt nach Eindeutigkeit und Präzision, ist aber häufig schwer lesbar.“
Das scheint mir ein Ausschlusskriterium der übleren Art zu sein.
Journalisten sollten nicht nur lesbar, sondern auch präzise schreiben. Das ist gute „Standardsprache“ – ob wir die immer beherrschen, ist eine andere Frage.
„Gute wissenschaftliche Fachsprache“: Wenn Sie damit Mathematik meinen, haben Sie recht. Das meinen Sie aber vermutlich nicht.
Wenn Sie den korrekten Gebrauch von Fachbegriffen meinen, haben wir beide identische Ansprüche. Sie gebrauchen zwar in der Wissenschaft Fachbegriffe, die man im Journalismus nicht verwenden kann wie „Kovarianz“, weil die kaum ein Leser einer Zeitung versteht. Aber wenn wir einen Fachbegriff wie „Exportüberschuss“ verwenden, dürfen wir ihn nicht mit „Export“ verwechseln.
Als Journalist, der seit vielen Jahren wissenschaftliche Papiere liest, kann ich Ihnen sagen, dass die vermeintliche „Fachsprache“ abseits des korrekten Gebrauchs von Fachbegriffen gelegentlich nichts anderes ist als schlichtweg miserables Deutsch oder Englisch. Unnötige Schachtelsätze, die wie Labyrinthe angelegt sind, impressionistische Interpunktion oder Grammatik, oder Konstruktionen des Typs „Der Dativ ist dem Genitiv sein Feind“ lassen sich nicht als angemessene „Fachsprache“, die sich von „Standardsprache“ abhebt, verkaufen.
Herausragende Ökonomen, mir fallen auf Anhieb Paul Samuelson und Milton Friedman ein, waren (und sind) übrigens oft Meister der „Standardsprache“ wie der „Fachsprache“.
Gruß
gb.
„Journalisten sollten nicht nur lesbar, sondern auch präzise schreiben.“ Soweit das Ideal, da sind wir uns einig. Nun sind die Wörter der Standardsprache nicht exakt definiert und das macht die Präzisierung schwieriger als in der Fachsprache. Ich schaffe dann trotzdem Präzision, indem ich reichhaltigen Kontext liefere. Der Kontext interpretiert die von mir verwendeten Wörter und präzisiert sie also.
Aber diese Methode hat ihre Grenzen. Der Leser mag allzu Weitschweifiges nicht. Die Redaktion gibt mir die Textlänge genau vor. Auch wenn ich theoretisch in der Standardsprache genauso exakt sein kann wie in der Fachsprache, praktisch kann ich das nicht.
Etwas, was immer wieder mal auffällt: In einem Zeitungsartikel ist von einem Durchschnitt die Rede, liest man dann aber die wissenschaftliche Originalstudie, dann erfährt man, dass der Median gemeint ist. Häufig wird man nun dem Journalisten den Artikel um die Ohren hauen müssen, denn die Wissenschaftler denken sich normalerweise etwas dabei, den Median anstatt den Durchschnittswert herauszustellen.
Es gibt aber auch Fälle, in denen der Unterschied zwischen Median und Durchschnittswert für die Sache nicht bedeutsam ist. In solchen Fällen wäre es meiner Meinung tatsächlich „spitzfindig“ (um Dirk Elsners Vorwurf aufzugreifen), wenn man auf den Unterschied zwischen Median und Durchschnittswert herumreitet.
Ökonomen sind in der selben verzwickten Lage wie Berater, möglw. in der IT, beim Finden einer Lösung in einem komplex vernetzten System. Man trifft gerne auf ein durchaus verständliches Geflecht an ‚ewigen Wahrheiten‘ die sich eingebürgert haben, die zwar nie wirklich stimmten oder mal früher, aber an die ‚alle‘ glauben, außen jene die es besser wissen und sagen nichts. Die Kunst ist exakt jene feine Distanz zum biederen Detail zu wahren, sodass die Worte nicht verhallten und im Unternehmenssprachgebrauch einen Weg zu formulieren ansonsten leidet die Glaubwürdigkeit. Die Frage ist letztendlich, wem der Autor eines Artikels aus seiner Sicht verantwortlich zeichnet. Verständlichkeit = Glaubwürdigkeit. Es geht um den Adressat. Es geht um den der es liest.
Möchte den virtuellen ‚Vortrag der Frau Merkel‘ nicht überstrapazieren. Kämen noch die Piraten hinzu und forderten, ‚Die Katzen sollen selbst darüber entscheiden, ob jemand den Deckel der Kiste öffnet und nachsieht‘ und damit möglw. eine Aussage provozierten ‚Die armen Katzerl könnten das ja gar nicht, die kennen sich nicht aus‘. Zu guter Letzt der Herr Schäuble der zur Haushaltsdisziplin mahnt, denn unendliche viele Katzen für solch ein Experiment zu bemühen überstrapaziere den Bundeshaushalt und selbst ein Nachtrag könnte daran nichts ändern. Worauf dann vermutlich die Frau Roth zum Schluss käme, ‚Sagte ich schon immer, unendlich viele können wir uns nicht leisten und selbst wenn wir unendlich viele tot umfielen so wären noch immer genausoviele da. Das ist verdächtig so ein Lug, die Merkel kennt sich nicht aus‘. – Möge mir keiner der genannten Herrschaften die Ohren lang ziehen -wäre so entlang des präsentierten Images.
Das ist das Umfeld in dem ein Journalist oder Schreiber eines Artikels muss den Mittelweg finden. Mit neueren ungewohnten Ideen sich durchzusetzen ist unheimlich schwierig. Man stößt gerne auf Kritik und bescheidenste Akzeptanz zuallererst.
Möglw. wollte der Journalist den Wirtschaftswurm motivieren die originale zu Studieren.
Journalist – Will er zum Denken anregen und die Leserschaft motivieren sich eines Themas anzunähern und selbst auf eine Idee zu kommen – da ist oft ein Widerspruch durchaus nützlich oder eben eine sehr klare Abhandlung in einem Fachmagazin. Die Ungenauigkeit wirkt etwas anderes, die unterstützt den Forscherdrang der uns allen innewohnt.
Andererseits publiziert der Autor in einem Medium das gerne auch von Experten auf diesem Gebiet konsultiert wird, da darf man schon peinlichst genau bleiben. Will der Autor einen Diskurs vom Zaun treten reicht die kleinste Ungenauigkeit und die Gegnerschaft tritt an.
Aber das Ziel, das über die neue Idee gesprochen wird erreicht man trotzdem. Kontroverses Element im erlauchten Kreis, das trägt Früchte. Denn der Wurm bohrt sich in den Geist … selbst der linientreue Fachmann kokettiert insgeheim auch mal gerne mit der ‚dunklen Seite‘ . Jeder hat ungeklärte Fragen in der Schreibtischlade und vage eine Vorstellung davon oder sogar furcht, dass er mit seinem Latein möglw. am Ende ist.
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@ wirtschaftswurm
Aber Sie haben doch bei vielen wissenschaftlichen Papieren heute etwas, das in seinem Anspruch auf verständliche Zusammenfassung fast einem Zeitungsartikel gleichkommt: die „Non-technical summary“, die man z.B. bei den Working Paper der EZB (aber natürlich nicht nur da) findet.
Ich kenne einen früheren Chef-Volkswirt einer Institution, deren Namen ich nicht nennen will (es ist nicht die EZB), der vor Jahren auf solche Zusammenfassungen nicht nur im Interesse einer interessierten (aber nicht völlig fachfremden) Öffentlichkeit drang, an die sich diese Institution auch – neben der „scientific community“ – wendet. Er drang auf diese Zusammenfassungen in erster Linie, damit seine technisch versierten Ökonomen sich überhaupt einmal über den Sinn und die Relevanz ihrer Papiere jenseits theoretischer oder empirischer Fingerübungen klar werden. (Es handelt sich um eine politiknahe Institution, nicht um eine in der Grundlagenforschung tätige.) Insofern kann der Zwang, sich nicht nur in einem Labyrinth voller Fachbegriffe auszudrücken, für einen Ökonomen durchaus auch hilfreich sein.
Oder, um noch einmal Paul Samuelson, dessen Ruf als erstklassiger Theoretiker ja wohl außer Frage steht, zu zitieren: Man soll als Ökonom keine Theorien vertreten, die man auf einem Spaziergang einem interessierten Laien nicht erklären kann.
(P.S. Ich konstatiere, dass Sie per Tweed mit meinem Klarnamen hausieren gehen – können Sie gerne machen, ich stehe offen zu dem, was sich schreibe – aber selbst anonym auftreten. Honi soit qui mal y pense.)
„Man soll als Ökonom keine Theorien vertreten, die man auf einem Spaziergang einem interessierten Laien nicht erklären kann.“ – Das ist ein guter Vorsatz. Ich unterstelle aber Samuelson, dass er bei seinen Spaziergang-Erklärungen seine Theorien stark vereinfachen musste, also vieles weggelassen hat.
„Ich konstatiere, dass Sie per Tweed mit meinem Klarnamen hausieren gehen.“ – Ich habe mir schon öfter erlaubt, auf interessante Kommentare im Blog über Twitter hinzuweisen, unabhängig davon, ob der Kommentator mit Klarnamen aufgetreten ist. Letzteres ist ihre persönliche Entscheidung. Ich zwinge keinen Kommentator dazu. Für Beschwerden hat dieses Blog ein vollständiges Impressum.