Auf den ersten Blick hat die Idee Charme: Hans Gersbach fordert auf Ökonomenstimme, dass Politikern die Möglichkeit bekommen, bindende Wahlversprechen abzugeben. Solche Wahlversprechen sollen in Form von überprüfbaren „Wahlverträgen“ schriftlich niedergelegt und beglaubigt werden. Eine unabhängige Institution überwacht die Einhaltung der Wahlverträge. „Bricht ein Amtsinhaber einen solchen Vertrag, darf er sich nicht zur Wiederwahl stellen.“
Politiker, so glaubt Gersbach, könnten durch solche Wahlverträge wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen. Das demokratische System würde gestärkt. Doch Skepsis ist meiner Meinung nach angebracht. Denn die Missbrauchsmöglichkeiten von Wahlverträgen sind erheblich.
Erinnern wir uns an Gerhard Schröders Versprechen vor seiner ersten Amtszeit, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Schröder hat im Wahlkampf 2002 darauf gesetzt, dass die Wähler das Versprechen nicht ernst genommen haben, er hätte aber auch die statistische Erfassung der Arbeitslosen ändern können oder kurz vor der Wahl genügend Arbeitslose in kurzzeitige Weiterbildungsmaßnahmen oder 1-Euro-Jobs schicken können, damit sie raus aus der Statistik wären. Sicherlich hätte ihm das in der öffentlichen Diskussion geschadet (wie ihm sein Versprechen ohnehin 2002 geschadet hat), aber die Wiederwahlmöglichkeit wäre gesichert und ein unabhängiges Institut hätte ihm die Einhaltung seines Wahlvertrages attestieren müssen.
Noch wahrscheinlicher als Tricks bei der Erfüllung von Wahlversprechen sind Tricks bei der Abgabe von Wahlversprechen. Schröder hätte nicht einfach die Halbierung der Arbeitslosigkeit versprochen, sondern die Halbierung der Arbeitslosigkeit, vorausgesetzt die Weltkonjunktur zieht an und alle damals hippen Internetunternehmen werden zum Erfolg. In der öffentlichen Darstellung im Wahlkampf kann man dann diese Voraussetzungen fallen lassen, zumal der genaue Text der Wahlverträge angesichts juristischer Präzision immer kompliziert sein wird.
Es ist auch fraglich, ob Wahlverträge bei einem Verhältniswahlrecht mit dem Erfordernis, Kompromisse in Koalitionen einzugehen, sinnvoll eingesetzt werden können. Klar, Schröder hätte sein Versprechen an die Bedingung knüpfen können, dass die SPD die absolute Mehrheit bekommt. Doch wem hätte das genützt? Wir können sicher sein, dass Wahlversprechen mit der Einleitung „Wenn wir die absolute Mehrheit bekommen“ umso größer ausfallen werden, je kleiner die Partei ist.
Die Hürden für eine Umsetzung von Gersbachs Vorschlag sind zudem groß. Bindende Wahlverträge lassen sich nur durch eine Verfassungsänderung einführen, schließlich werden die Wiederwahlmöglichkeiten eingeschränkt. Außerdem ist offen, wie man die Unabhängigkeit des vorgeschlagenen Überwachungsinstituts sichern kann.
Wenn man sich aber sowieso an eine Verfassungsänderung heranmachen will, warum dann nicht gleich mehr direkte Demokratie mit Volksabstimmungen? Das ist der effektivere Weg, Politiker an gewünschte Inhalte zu binden.