Wirtschaftswurm-Blog

Konsequenzen eines Excel-Fehlers: Revision und Rechtfertigung

Auf meinen Beitrag zum Rechendesaster von Rogoff und Reinhard gab es zahlreiche Reaktionen. Ich möchte auf sie eingehen, in dem ich meine Position weiterentwickle und dadurch hoffentlich klarer mache.

So habe ich unglücklicherweise einen sarkastischen Ausbruch bei Stefan Sasse provoziert:

Staatsschulden machen irgendwann irgendwie irgendwem Probleme, aber wir können keinerlei Aussage darüber machen, wie genau alles zusammenhängt, außer dass es manchmal funktioniert, mit hohen Staatsschulden Wachstum zu generieren, und manchmal selbst mit moderaten Staatsschulden kein Wachstum entsteht? Wahnsinn. … Das sind Erkenntnisse, die geradezu einen Freifahrtschein für alle Ökonomen darstellen. Sie haben einfach immer Recht.

Nein, Stefan, das wollte ich überhaupt nicht sagen. Im konkreten Fall bin ich auch sehr wohl der Meinung, dass Rogoff und Reinhard Unrecht hatten mit ihrer Behauptung, eine Staatsverschuldung von über 90 % des BIPs führe in der Regel zu geringem Wirtschaftswachstum. Diese ihre These wurde nun widerlegt.

Aber man sollte – das ist auch meine Meinung – trotzdem nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Dass eine konkrete wissenschaftliche Hypothese sich als falsch herausgestellt hat, heißt noch lange nicht, dass das übergeordnete wissenschaftliche Paradigma, auf dem diese Hypothese aufbaute, falsch ist.

Was meine ich damit?

Um das zu erklären, kann ich mich auf Alex Hummels Blogbeitrag stützen. Alex hat meine Thesen nämlich mit dem Standardmodell der Makroökonomen, dem IS-LM-Modell verglichen. Nach diesem Modell hat eine Erhöhung der Staatsausgaben, ohne dass gleichzeitig die Steuereinnahmen erhöht werden, grundsätzlich zwei Effekte: das BIP steigt und das allgemeine Zinsniveau steigt.

Je größer der Einfluss auf die Zinsen ist, desto niedriger ist der Einfluss auf das BIP. In dem einen Grenzfall, nämlich wenn die Zinsen überhaupt nicht auf die zusätzliche Staatsverschuldung reagieren, ergibt sich ein maximaler Multiplikator für das BIP. In dem anderen Grenzfall, wenn die Zinsen nämlich extrem in die Höhe schießen, erhöht sich das BIP nicht. Die zusätzliche Staatsnachfrage verdrängt dann lediglich die private Nachfrage.

Reinhard, Rogoff und viele andere, darunter auch ich, sind nun der Meinung, dass das nicht alles sein kann, zumindest dann nicht, wenn man auch die mittlere und lange Frist betrachtet. Unter bestimmten Bedingungen bringt Neuverschuldung nicht nur keinen positiven Effekt, sondern ist sogar schädlich für die Wirtschaft. Wie könnte es sonst überhaupt zu Staatsbankrotten kommen?

Damit habe ich das wissenschaftliche Paradigma formuliert, das ich meine. Auf diesem Paradigma aufbauend ist es weiterhin sinnvoll, wenn Ökonomen sich auf die Suche nach den Bedingungen machen, unter denen Neuverschuldung mittel- und langfristig schädlich ist.

Die Suche von Reinhard und Rogoff hat offensichtlich keine brauchbaren Ergebnisse geliefert. Doch davon sollten sich Ökonomen nicht demotivieren lassen.

So erscheint es mir naheliegend, neben der Schuldenquote weitere Variable bei der Suche nach den Bedingungen einzubeziehen. Nur in diesem Zusammenhang ist mein Vorschlag aus dem letzten Blogbeitrag zu verstehen, die Höhe der aktuellen Nettoneuverschuldung zu berücksichtigen.


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /home/www/wp-includes/class-wp-comment-query.php on line 405

9 Kommentare

  1. Pingback: Es geht nicht um den Excel-Fehler – das Problem ist die Realität

  2. Wirtschaftswurm sagt

    Ich antworte dir mal hier, Stefan. Ich glaube, wir liegen jetzt gar nicht mehr so weit auseinander. Denn dass es auch eine große Rolle spielt, wofür der Staat sein Geld ausgibt, das erkenne ich an. Grundsätzlich hat der Staat aber ein Effizienzdefizit im Vergleich z.B. mit mittelständischen Unternehmen, das muss man berücksichtigen. Und wenn man nach Südeuropa schaut, muss man zusätzlich berücksichtigen, dass dort dieses Effizienzdefizit noch größer ist als in Deutschland.

  3. Volker Caspari sagt

    Nur eine ganz kleine Anmerkung. Ein IS-LM Modell behandelt die sogenannte „kurze Periode“, also jene bei der der Kapitalstock konstant ist. Investitionen entwickeln nur ihren Einkommens- nicht ihren Kapazitätseffekt. Will man den Einfluß der Verschuldung aufs Wachstum (theoretisch) untersuchen, muß man das im Rahmen eines Wachstumsmodells machen. Also Solow, Ramsey-Cass-Koopmans oder eine modernes endogenes Modell a la Aghion-Howitt.
    Die Arbeiten von RR sind ja rein empirisch und bar jeder Theorie.

  4. Andreas sagt

    Die Schlussfolgerung von Stefan Sasse, aus einer fehlerhaften und im Grunde nie sonderlich beeindruckenden Studie das Ende makroökonomischer Modellbildung abzuleiten, halte ich für ziemlich weit hergeholt. Das IS-LM-Modell erklärt die momentane Situation nämlich ziemlich genau. In der Liquiditätsfalle hat expansive Geldpolitik kaum eine Auswirkung auf den Zins, wie ja schön zu beobachten ist. Austerität hat in dieser Situation hingegen einen erheblichen negativen Multiplikatoreffekt auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, wie ebenfalls hervorragend zu beobachten ist. Ich sehe hier kein Theoriedefizit, eher bei einigen, z.B. unserem Finanzminister und seinen „Beratern“, Theorieverleugnung. Die halten ja sogar jetzt noch an R-R fest. Für Politikversagen kann man nicht eine Wissenschaft verantwortlich machen – höchstens einzelne Wissenschaftler.

  5. Pingback: Kleine Presseschau vom 30. April 2013 | Die Börsenblogger

  6. Häschen sagt

    @Andreas – Sie kommen aus der Liquiditätsfalle so leicht nicht heraus, es ist systemisch zuviel Geld da – eigentlich in den ‚falschen‘ Händen die Falle zu verlassen. Der Zins läuft der Realwirtschaftsentwicklung nach. Geldmengenausweitung wirkt angeblich nicht auf die Reallöhne. Ich persönlich unterstelle, dass das gewollt ist. Politik begründet ihre Handlungen mit Argumenten der Ökonomen. Wenn es allein so ausschaut, dann hat der Zeus im Zeon Blitze auf uns herabgesendet … Politik reagiert anders, wenn wir alle so tun als, ob wir uns fürchteten, dann wird Zeus sich schon eine andere Ablenkung finden. Dann werden Opfer gebracht, wie der Ulli H. … usw. usw… – ein Unternehmer stellt in solchen Fällen ein Blitzableiter auf. Wirtschaft scheitert in Summe nicht an zuviel Geld. Crowding Out ist halt ein wenig ein teurer Spaß für außer Spesen kaum etwas gewesen. Diese Modelle sind für Banker spannend, aber sonst schon keinen, Banken ersticken an Liquidität … Wirtschaft ist ja nicht dazu da, nach Modellen zu funktionieren… Angie’s Puppet Kitchen. Jo mei, sagt der Bayer im Speckring, steigt in seinen i8 und denkt sich, für’s Holz war der X6 besser. Man braucht das richtige Gefährt zur Richtigen Umgebung. In dem Sinne ist Wahl der Methode durchaus gewichtig.

    Sie können eine Diskussion führen, ob Java oder .net besser in die Strategie des Unternehmens passt. Oder sie schreiben die Lösung einfach, installieren selbige und gehen auf ein Bier. Es interessiert am Ende keinen solange die Sache läuft. Genau solche Diskussion haben sie und da reden alle mit, wenn IT läuft. Wenn sie nicht läuft, dann kommen die die sich auskennen und die anderen sind ruhig und mischen sich gar nicht ein in etwas das nicht verstehen, bei dem selbige aber zuvor mitredeten … Ich kenne mich auch nicht aus – ich rede halt mit, der Schaden ist eh schon angerichtet.

    Egal, mal ein interessanter Beitrag … Tomáš Sedláček: Warum die Ökonomie ein kulturelles Phänomen ist

  7. Stefan K. sagt

    „Im konkreten Fall bin ich auch sehr wohl der Meinung, dass Rogoff und Reinhard Unrecht hatten mit ihrer Behauptung, eine Staatsverschuldung von über 90 % des BIPs führe in der Regel zu geringem Wirtschaftswachstum. Diese ihre These wurde nun widerlegt.“

    Das ist eine gravierende Fehlinterpretation. Auch ohne den Excel-Fehler und mit einer anderen Berechnung ist ganz deutlich: je höher die Staatsverschuldung, je geringer das Wachstum.

    Siehe die Grafiken von Wolfers und Stevenson in: http://www.bloomberg.com/news/2013-04-28/refereeing-the-reinhart-rogoff-debate.html

Kommentare sind geschlossen.